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Fahne statt Designeranzug

Ein Flugzeug voller Fans war aus Deutschland zu den Australian Open gereist, um „Steffi“ und „Micha“ zum Sieg zu jubeln  ■ Aus Melbourne Bernd Müllender

Auf einmal waren sie da. Am Dienstag. Zu Steffi Grafs Viertelfinale. Block 3, Oberrang, gut zweihundert Leute aus Germany, ein halber Jumbo voll, frisch eingeflogen. „Allgäu grüßt Steffi“, „Hallo Deutschland, jetzt gehts looos“, reichlich Fähnchen in Bundesfarben. „Jörg und Piet grüßen unsere vier Trümpfe“ war das auffälligste Plakat, wobei Jörg und Piet einen der vier – Beckers Konterfei war's – durchkreuzt hatten, so wie es früher auf den RAF-Fahndungsplakaten jeder anständigen deutschen Polizeistation üblich war, wenn mal wieder ein Terrorist in den finalen Rettungsschuß eines wackeren Wachmannes gelaufen war.

Die Tennisfans aus Germany – eine Horde Fans wie aus einer beliebigen Bundesliga-Westkurve? Weit gefehlt: Die da mit Ausdauer die Holzrasseln kreiseln ließen, sich die Hände fast wund klatschten und brüllten und jauchzten und stöhnten wie Teenies beim Konzert von Guns N' Roses, waren Banker, Kaufleute, fidele Rentner, Hausfrauenclubs („Es grüßen die Golden Girls“), Unternehmerehepaare. Es dominierten angegraute Schläfen, onduliertes Haar, Goldrandbrillen und locker umgehängte Deutschlandfahnen, wo sonst der Designeranzug kneift. Mittelalter-Mittelschicht – nicht jeder kann sich schließlich gut zehntausend Mark für einen Kurzausflug ans andere Weltende leisten.

Da ist etwa der Unternehmer aus Hannover. („Wir haben eine Gerüstbaufirma.“) Er wollte „das Schöne“ mit dem Angenehmen verbinden“ – Tennis gucken. Schnell mal Melbourne ansehen – man gönnt sich ja sonst nicht so viel. „Wir sind alle völlig begeistert“, sagt die Gattin, „alles ist viel besser als im Fernsehen.“ Im Duett mit dem Ehemann mit kleinen Nationalfahnen zu wedeln finden beide überhaupt nicht albern: „Ach, so was macht man doch, wenn da Deutsche spielen.“

Zwei ältere Damen, eine aus Wiesbaden, die andere aus Berlin, waren an ihrem ersten Tag in Melbourne noch etwas desorientiert. „Der Reiseleiter hat uns gesagt, da sei noch ein zweites deutsches Mädchen dabei“, wo die spiele. – „Eine Jugendliche vielleicht?“ – „Nein, eine richtige...“, sagt eine von beiden, und die andere läßt ungefragt wissen: „Ich habe schon Tennis geguckt, da gab es den Boris noch gar nicht.“ Gewisse Regelschwächen werden auf der Tribüne gruppenintern gelöst. Als der Schiedsrichter den Linienrichter zum Nachteil von Michael Stich überstimmt, herrscht Fassungslosigkeit. „Was ist denn jetzt los?“ – „Wiederholung!“ – „Wieso?“ – „Ach so.“ Gepfiffen wird trotzdem. „Unwürdig, so was“, brüllt ein Grauschopf und meint den Unparteiischen. Und alle stimmen ihr „Micha, Micha“ an.

Die zweihundert von Melbourne liegen im Trend. Sportreisen boomen – rund 100 Millionen Mark setzt die Branche jährlich in Deutschland um. Dabeisein ist alles, da kann man den Nachbarn nachher erzählen, was sie vor der Glotze alles nicht mitbekommen haben, und manche können den Luxustrip auch noch steuerlich absetzen. Sie lassen sich unterhalten und unterhalten das Auditorium mit zahllosen gescheiterten Versuchen, La ola down under zu etablieren. „Oh, meine Nerven“, stöhnt ein Alter bei Satzball Seles gegen die Steffi – „Gerd, du bist hier nicht auf Kur“, korrigiert der Nebenmann. Neutralität ist des Deutschen nicht: „Der Aufschlag war doch nicht aus“, will einer alle im Stadion überstimmen, „der war doch viel zu schnell, daß der dat überhaupt mitkricht. So was Kleinkariertes.“

Die Ingenieursgattin und Hausfrau aus Haltern („Die Reise haben wir uns gegenseitig zur Silberhochzeit geschenkt.“) erzählt vom Schock im Flugzeug, als, auf dem Weg zum Zwischenstopp in Bangkok, die Nachricht von Beckers Aus kam: „Wegen dem sind wir doch eigentlich hierhergeflogen.“ Aber Steffi und Micha seien ein guter Ersatz, auch wenn es am Ende nicht ganz gereicht hat. Zu Hause gehe sie selten zum Tennis – nein, „wenn schon, denn schon“, habe man sich gesagt und in Australien gleich das Stadtwappen von Haltern über die Balustrade gehängt, um es per TV der ganzen Welt zu zeigen. Zu Hause würde sie auch nie so viel Stimmung machen und so enthusiastisch die Deutschen anfeuern. „Aber wir sind ein ganzes Flugzeug voll Fans, da haben wir schon gewußt, in Melbourne, woll, da machen wir richtig los.“ Und zum Finale von Steffi Graf hatten sie alle ein riesiges Pappschild mitgebracht, „Steffi“ stand drauf, ganz bunt waren sie, und das i hatte als Punkt ein Herzchen. Sei doch toll gewesen, wie die Aussies da alle geklatscht hatten. „Kennen die noch nicht, so was“, sagt begeistert ein Rentner.

Sie wirkten in ihrer Geschlossenheit, in ihrem Gehorsam gegenüber einem Alten, der den Einpeitscher machte, ein wenig wie die staatlich verordneten Jubeldelegationen aus DDR-Zeiten, als Fahnen noch Winkelemente hießen. Solche Assoziationen können die Edeldeutschen selbst nicht nachvollziehen. „Wir wollen doch nur ein wenig Patriotismus zeigen“, sagt ein Werftingenieur aus Bremen. Und freuen können sie sich wie kleine Kinder: „Daß sich die Steffi und auch der Micha, von dem wir das überhaupt nicht erwartet haben, nach ihren Niederlagen extra bei uns bedankt haben, das hatten wir nie gedacht“, sagt der Unternehmer aus Hannover. Drei Worte waren es jeweils über den Stadionlautsprecher. „Das war richtig toll von den beiden.“

Nein, es gab keinerlei Murren über das Ausscheiden der Deutschen. Dafür hatten sie ja, als Ersatz für den Ersatz, zwei deutsche Juniorinnen – Heike Rusch und Andrea Glass – in deren Endspiel miterleben dürfen. Beide blond, beide mit profihaft gepeitschten Bällen, beide Pferdeschwanz – vielleicht waren sie alle Augenzeugen der Tennis-Geburt einer neuen Steffi gewesen. Nur, wen sie anfeuern sollten, da waren sie zwei Sätze lang völlig ratlos gewesen.

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