„In aller gebotenen Kürze“

■ Im Hamburger Thalia-Theater treffen sich „Internationale Künstler gegen Rassismus

Hamburg (taz) – Eine antirassistische internationale Starparade ungeahnten Ausmaßes hätte es werden sollen. Doch dann waren die an die Wände des Hamburger Thalia-Theaters plakatierten Namen der Unterstützer, die leider nicht kommen konnten, doch die wesentlich prominenteren. Whoopi Goldberg, das Zugpferd der Veranstaltung, hatte ebenso abgesagte wie der Troubadour von der Ruhr, Herbert Grönemeyer, der IM Zement, Heiner Müller, oder die Popper von Duran Duran.

Ausreichend Prominente, um niemand wirklich ausführlich zu Wort kommen zu lassen, fanden sich trotzdem ein, bei dem von der britischen Schauspielerin Vanessa Redgrave und Thalia-Intendant Jürgen Flimm in Hamburg organisierten zweitägigen Treffen „Internationale Künstler gegen Rassismus“. Anläßlich des 60. Jahrestages von Hitlers Regierungsantritt, motiviert von der neuen deutschen Pogromstimmung, wollte man unter dem Slogan „We will never forget – we will not let it happen again“ ein Signal setzen. Entgegen einer inhaltlich konzentrierten Aktion mit wenigen fachkundigen Teilnehmern und auf Kosten einer gemeinsamen Plattform aller Hamburger Kulturinstitutionen, hatte sich die Leitung des renommierten Theaters dazu entschlossen, Klang und Zahl der Namen sprechen zu lassen.

Insbesondere beim ersten, nichtöffentlichen und mit „Konferenz“ nur sehr unzutreffend überschriebenen Veranstaltungstag führte diese Strategie dazu, daß moralische Appelle und persönliche Statments in Videoclip-Länge aneinandergereiht wurden. Weder blieb Zeit für Analysen der Ursachen von Neofaschismus, noch ließ sich auch nur der Ansatz einer Diskussion realisieren.

Knapp vierzig Podiumsredner in zehn Stunden führten mehr oder weniger interessante Teilaspekte zu verschiedenen Themen aus und vollbrachten dabei das Kunststück, nicht ein einziges Mal Bezug aufeinander zu nehmen. Die Einladungspolitik hatte dazu geführt, daß Wissenschaftler, Betroffene und Zeitzeugen, politische Aktivisten, Künstler und Journalisten eben gerade genug Zeit hatten, nämlich zehn Minuten, ihr ureigenstes Anliegen vorzutragen.

Überlebende des Holocaust, etwa Arie Goral, Flora Neumann und Trude Simonsohn sollten „in aller gebotenen Kürze“, wie Trude Simonsohn mit einem anklagenden Unterton in der Stimme bemerkte, über ihr Schicksal berichten. Historiker wie Ulrich Herbert von der Hamburger Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus, Hans Mommsen von der Ruhr-Universität oder Mikhail Gefter, der Präsident der russischen Holocaust-Gesellschaft, hatten anschließend die unlösbare Aufgabe, ein paar geschichtliche Rahmendaten und Verständnisthesen in der selben Kürze zu formulieren.

In der nächsten Runde sprachen dann Michel Friedman (Zentralrat der Juden), Etem Ete, der Vorsitzende der türkischen Gemeinde Hamburg, und Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrates der Deutschen Sinti und Roma. Dies war der einzige Moment des Referentenmarathons, wo Erfahrung und Betroffenheit, praktische Analyse und Handlungswille zusammentrafen, wo Aussagen auch in ihrer gerafften Form das Thema so verdichteten, daß man sofort in eine fruchtbare Diskussion hätte einsteigen können. Stattdessen wurde fortreferiert und wenn das Publikum dann doch mal zu Wort kam, sprach man gegen die Ausgrenzung von Behinderten, für die Freilassung von Abimael Guzman, Führer des Leuchtenden Pfades, oder für ein wiedervereinigtes Jugoslawien.

Prominente Kämpfer für die Menschenrechte aus aller Welt schlossen sich an: Hebe de Bonafini von den Müttern vom Plaza de Mayo in Argentinien, Elena Bonner, Miriam Karlin von der britischen Anti-Nazi-League oder Richard Reid von Unicef. Nach Berichten aus Israel, Spanien und den USA erlebt man dann in halber Bewußtlosigkeit noch berühmte Journalisten von Zeit, Stern und Spiegel, gefolgt von Roger Moore (Unicef-Botschafter), Bono von U2, Kris Kristofferson, Maria Farantouri und den Schrifsteller Ariel Dorfmann und Harvey Keitel.

Wie ein roter Faden zogen sich die Warnung vor Gleichgültigkeit und der Aufruf ans bürgerliche Gewissen durch beinahe alle Beiträge. Einzig Beate Klarsfeld schlug als letzte bei ihrem nächtlichen Statement dann wirklich kämpferische Töne an und forderte alle Anwesenden auf, mit einem spontanen Hungerstreik die Änderung des Artikels 16 zu verhindern. Großem Applaus der letzten vierzig Anwesenden folgte der Gang ins Restaurant.

Am Sonntag, beim „Konzert“, das schon im vorhinein neben inhaltlicher Kritik an derartigen Massenspektakeln viel Ärger dadurch provoziert hatte, daß die Verwertung der Veranstaltung exklusiv an NDR und Stern verkauft worden war, inszenierten Showstars dann ihr reines Gewissen mit Gedichten und Liedchen. Von Senta Berger bis Wolf Biermann, von Franco Nero bis Jan Fabre trafen sich Halb- und Dreiviertel- Weltstars mit lokaler Prominenz zum „We are the better ones“ im Fünf-Minuten-Takt. Till Briegleb