piwik no script img

Frauen im Reichsbund brechen Tabu

■ Gegen Sprachlosigkeit: Ausstellung zum Thema "Sexueller Mißbrauch" im Bildungswerk

Frauen im Reichsbund brechen Tabu

Gegen Sprachlosigkeit: Ausstellung zum Thema 'Sexueller Mißbrauch' im Bildungswerk

„Tatort Familie“ steht auf dem Schriftband über dem Kinderbettchen aus Holz. Auf Rollen steht es und richtig alt sieht es aus — rührend! Weniger rührend ist der Rest der Ausstellung: Bilder von mißhandelten, mißbrauchten Kinderkörpern. Darunter in großen schwarzen Buchstaben: „Alle Eltern lieben ihre Kinder???“ Zeitungsschlagzeilen verkünden: „Die Vergewaltigung wird Tina nie vergessen.“ Buxtehuder Frauen haben die Ausstellung zu Sexuellem Mißbrauch und Sexueller Gewalt zusammengestellt, die im Bildungswerk des Reichsbundes zu sehen ist. „Das Thema Sexueller Mißbrauch war hier im Reichsbund ziemlich tabuisiert“, erzählt Leonie Viktor, Abteilungsleiterin der Sozialen Dienste beim Reichsbund. Im Herbst 1991 gründete sie gemeinsam mit sieben weiteren Kolleginnen eine Arbeitsgruppe zu sexueller Gewalt. „Viele von uns hatten Kontakt zu betroffenen Frauen und waren so damit konfrontiert“, berichtet Psychologin Kirstin Wittich. Beim Reichsbund werden derzeit über 380 lern- und körperbehinderte Frauen und Männer ausgebildet. Einige sprachen die Mitarbeiterinnen auf ihre Erlebnisse und Erinnerungen an. „Wir wollten die KollegInnen befähigen, damit umzugehen“, erklärt Kristin Wittich. Der erste Schritt der Frauen: Sie organisierten ein Wochenendseminar zum Umgang mit Betroffenen und erarbeiteten einen Leitfaden dazu für die KollegInnen. „Als wir den in Arbeitsgruppen vorstellten, gab es sehr unterschiedliche Reaktionen“, berichtet die Psychologin: „Die Frauen diskutieren eher darüber; in Gruppen, in denen überwiegend Männer sind, herrscht eine gewisse Sprachlosigkeit.“

Mit der Ausstellung und der sich anschließenden Veranstaltungsreihe wollen die Frauen im Reichsbund und darüber hinaus mehr Öffentlichkeit für das Thema herstellen: „Diese Ausstellung ist auch für den Stadtteil Horn-Lehe gedacht. Hier gibt es kein Bürgerzentrum, wo so etwas stattfinden könnte“, erläutert Leonie Viktor. Für das Theaterstück „Püppchen“, das das Bremer Schnürschuhtheater beim Bildungswerk des Reichsbundes aufführt, hat das Ortsamt Geld zugeschossen.

Aber auch ihre eigenen KollegInnen wollen die Frauen noch weiter für das Thema sensibilisieren. Selbst in so einer pädagogischen Einrichtung wie der ihren werde viel verdrängt, klagt die Psychologin. Ein Täter mußte entlassen werden. Kirstin Wittich: „Viele Jugendliche hier sind es nicht gewohnt, Grenzen zu setzen. Das fängt ja schon an, wenn es heißt: Mäuschen, kommst du mal??“ Die Frauen wollen ihre weiblichen Auszubildenden ermuntern, Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse zu besuchen. Der Wochenendkurs in Selbstverteidigung, den sie im Bildungswerk anbieten, ist schon fast ausgebucht. dir

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen