: Zusammengehörigkeitsgefühls-Vertrag geplatzt! Von Mathias Bröckers
Einst mag Politik sich vornehmlich um das Besetzen von Ländern gekümmert haben, im Medienzeitalter dagegen geht es um das Besetzen von Begriffen. Einer, vor dem man sich in jüngster Zeit kaum noch retten kann, ist der „Solidar-Pakt“. Das erste, was daran auffällt, ist die merkwürdig halbherzige Abkürzung, denn entweder müßte es „Solidaritäts-Pakt“ oder „Soli-Pakt“ heißen, so wie wir es von den „-Erklärungen“, „-Adressen“ und „-Aktionen“ kennen. Doch „Solidarität“ klang offenbar zu altkommunistisch, während „Soli“ zu flapsig und locker daherkam, und so landete man beim „Solidar“. Möglich wäre auch „Solid-Pakt“ gewesen, doch hätte eine derart überdeutliche Betonung des Soliden sogleich den Verdacht unsolider Finanzierung heraufbeschworen. Also „Solidar“, ein Hauch von solide und ein Touch von Solidarität – und dann der „Pakt“. Da schwingen Faust und Mephisto mit, Pathos und Größe. Ganz anders als etwa beim „Paket“ – Solidar-Paket, das hätte nach Wohlfahrtsbriefmarke oder Postdefizit geklungen, Pakt hingegen nach nationalem Drama, also optimal. Auf den ersten Blick: „Pakt“ ist laut Duden mit „Vertrag, Übereinstimmung“ zu übersetzen, das Wort „Solidarität“ mit „Zusammengehörigkeitsgefühl, Übereinstimmung“; wir haben es beim Solidar-Pakt also mit einem „Zusammengehörigkeitsgefühls-Vertrag“ bzw. einer „Übereinstimmungs-Übereinstimmung“ zu tun. Kein Wunder, daß das Ding nicht ins Laufen kommt, es ist ein weißer Schimmel, der sich einander gegenseitig blockiert! Was übersetzt soviel heißt wie: Nicht vorhandene Gefühle mit Verträgen zu fixieren ist genauso paradox wie bei nicht vorhandener Übereinstimmung einstimmig übereinzustimmen. Da wir den Fremdwörterduden schon aufgeschlagen haben, können wir die semantische Tiefenanalyse des Polit-Neologismus „Solidar-Pakt“ auch noch kühn auf den Punkt bringen: Es ist ein pleonastischer Euphemismus. Pleonastisch wg. „Übereinstimmungs-Übereinstimmung“, und euphemistisch, weil von Solidarität ja überhaupt nicht die Rede sein kann: Der Osten hat kein Geld und will welches, der Westen hingegen hat welches und will es behalten. Wer soll da mit wem solidarisch sein, d. h. „übereinstimmend“, „eng verbunden“, „gemeinsam“ an einem Strang ziehen? „Caritar-Pakt“ wäre da angemessener – ein Dreiklang aus Care-Paket, Caritas und Charit, der die Kollekte für die krankende Ökonomie Ostdeutschlands sehr viel wahrheitsgetreuer umreißt. „Ja aber wir sind doch ein Volk!“ blökt da mein Ossi- Nachbar energisch dazwischen, aber das kann ich nun gar nicht mehr hören: „Wir sind zu allererst mal eine Menschheit, und dann kommt erst mal ein paar hunderttausend Jahre gar nichts, und dann kommen irgendwann Rassen, Völker, Nationen, Bundesligamannschaften und so weiter. Und Wirtschaftsflüchtlinge wie Ihr kommen aus aller Herren Länder!“ Das mit dem Wirtschaftsflüchtling kann er nicht ab, mein Ossi-Freund, schließlich war die DDR Weltmeister im Schweinefleisch-Verzehr. Und doch wäre der Charitar-Pakt eine gute Idee, Spenden mit offenem Herzen sind besser als herbeigelogene Solidarität.
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