: Ratten essen oder krepieren
Der hungernde Süden Sudans rüstet für einen neuen Krieg ■ Von James Dorsey
Sie zogen über Leichenfelder, ein wochenlanger Hungertreck von ihrer zentralsudanesischen Heimat nach Süden, über den Nil hinweg an die Grenze zu Uganda. Manche von ihnen waren seit Jahren auf der Flucht. Nun fürchten die mehr als 100.000 Flüchtlinge des Dinka-Volkes, daß sich die Geschichte wiederholt. Neue Kämpfe zwischen der sudanesischen Regierungsarmee und der Guerilla „Sudan People's Liberation Army“ (SPLA) stehen bevor, und die drei Flüchtlingslager könnten dabei ausgelöscht werden. Wo sie dann hingehen werden, ist nicht einmal ihr größtes Problem. Denn bis dahin werden nur wenige überleben. Ab und zu kommen internationale Hilfsgüter durch, aber die Dinka sind in ihren Lagern gefangen – zwischen der Weigerung der Regierung, Hilfsgüter an die mehr als fünf Millionen nichtmuslimischen Südsudanesen durchzulassen, und dem selbstzerstörerischen Bruderkampf zwischen verschiedenen SPLA-Fraktionen. „Wenn wir nicht jetzt handeln, wird Sudan ein zweites Somalia“, warnt Ted Chaiban von „Catholic Relief Services“ (CRS).
Die Baracke von Aswa
Im Lager Aswa steht ein einstöckiger Betonbunker, ohne Fenster und voller Fliegen. Auf dem nackten Betonfußboden liegen Kranke in Decken gehüllt. Nur die Kriegsversehrten bekommen Liegen, damit ihre Infektionen nicht übertragen werden. Mütter mit leeren Brüsten kauern über von Insekten wimmelnden Neugeborenen. Schon bei der Geburt waren diese Babys unterernährt, kleinwüchsig und litten an Dehydration.
Dr. Gudmund Waaler, ein Norweger auf Zwei-Monats-Dienst, zeigt die Aufzeichnungen der SPLA-verwalteten Klinik: In 30 Tagen hat er 250 Operationen vorgenommen, zumeist an Kriegsopfern, die sich von der Kriegsfront weiter nördlich hierhergeschleppt haben. Viele sind kaum 14 Jahre alt. Wöchentlich kommen etwa 50 neue. „Wir können sie retten, denn sie haben schon mehrere Tage überlebt, bevor sie hier ankamen“, sagt Waaler. Aber er fürchtet, daß die Behandlung zusammenbricht, wenn er Mitte Februar geht. Nur zwei Ärzte arbeiten ständig hier.
Das Krankenhaus von Aswa ist ein Symbol der sudanesischen Tragödie. Es war eine Gabe der Hilfsorganisation „Norwegische Volkshilfe“ (NPA), nachdem die sudanesischen Regierungstruppen in ihrer Offensive letzten Sommer die Hauptstadt der Ost-Äquatorial-Provinz, Torit, einnahmen. Es hat 60 Plätze – aber 700 Insassen. Das Dach hat Löcher, Fledermäuse und Eidechsen kommen durch die zerbröselnde Wand, und Termiten sind dabei, die Decke aufzufressen. Zwei Tage vor einem Besuch aus den USA waren die Lebensmittel- und Medikamentenvorräte ausgegangen. „Außer der NPA hilft uns niemand, kein Rotes Kreuz, keine UNO“, klagt Klinikleiter Lueth Garang.
Mäuse statt Brot
Einige Kilometer nördlich liegt Atepe. 23.000 Flüchtlinge leben in strohgedeckten Hütten am Fluß. Die Felder ringsherum wurden abgebrannt, um Ratten und Mäuse zum Essen zu fangen. Hunderte von nackten, dürren Kinder warten apathisch vor einem Feeding Centre.
„Die Kindersterblichkeit ist auf 20 am Tag hochgegangen“, sagt der Arzt Masri Makeri und streicht nachdenklich über seinen grauen Spitzbart. „Gestern hatten wir unseren ersten Meningitis-Fall. Ich habe weder Impfstoffe noch Medikamente.“ Vor seiner Grashütte stehen Dutzende Patienten Schlange: Sie haben Malaria, Diarrhö, Lungenentzündung, Anämie. Eine hohlwangige Frau läßt ihr Kleid fallen, um ihren faltigen Bauch zu zeigen. Nicht weit entfernt zeigt Lagerleiter Peter Kidi auf zwei Gräber, bedeckt mit Babykleidung. „Die Dinka von Bor schmücken ihre Gräber mit dem Besitz des Verstorbenen“, erklärt er. Viele Frauen tragen schwarze Bänder um den Hals – sie haben ihre Kinder verloren.
Atepe ist typisch für den weiten Süden des Sudans. In der südsudanesischen Hauptstadt Juba, von der SPLA belagert, leben 300.000 Menschen, die der Regierungsarmee ausgeliefert sind. Hilfsorganisationen haben keinen Zutritt. Lieferungen des UNO-Welternährungsprogramms (WFP) werden angeblich an das Militär weitergeleitet, das den Stadtrand vermint hat, um die Menschen am Verlassen der Stadt zu hindern. „Du wirst ein Muslim, oder du stirbst“, erklärt Commander Salva Kiir vom SPLA-Generalstab.
Mit leiser Stimme warnt der von schwerbewaffneten Wächtern umgebene Kiir, daß die Zahl der Hungertoten dieses Jahr die 250.000 des Jahres 1988 übersteigen könnte. Die südsudanesische Provinz Bahr el-Ghazal und die Juba- Berge, sagt er, seien bereits mit Somalia vergleichbar. „Hier sterben die Leute zu Hunderten weg. Wir haben bald 100.000 Menschen verloren. Zweimal ist die Ernte ausgefallen.“ Kiirs Gesicht ist kaum zu sehen im Halbdunkel vor dem Hauptquartier der SRRA („Sudan Relief and Rehabilitation Agency“, Hilfsorganisation der SPLA). SRRA-Generalsekretär Pierre Ohure, dessen Familie noch in Juba lebt, fügt hinzu, daß einige Regionen seit 1989 keine Hilfe mehr gesehen haben.
Ein zweites Somalia?
Die ständigen Vergleiche mit Somalia bringen der SPLA zwar internationale Aufmerksamkeit. Aber die Guerilla ist nicht ganz glücklich darüber, denn sie will das Bild eines geeinten Südsudan im Befreiungskampf zeichnen, während Somalia für mörderischen Bruderzwist steht. „Das ist nicht wie in Somalia, wo jeder für sich handelt“, meint Ohure. „Hier im Süden haben wir eine strukturierte Autorität.“ Aber dennoch: Zur Bedrohung von Hunger und Seuche kommt auch im Südsudan Zwist und Stammesfeindschaft.
Den Kämpfen zwischen SPLA- Gruppen fielen im September drei UNO-Mitarbeiter und ein norwegischer Journalist zum Opfer. Die Regierung in Khartum zögerte nicht, daraus Kapital zu schlagen und die Hilfsrouten in den Süden unter ihre Kontrolle zu bringen. Aus Angst vor weiterem Prestigeverlust unterzeichneten die drei SPLA-Fraktionen am 5. Dezember in Nairobi eine Übereinkunft mit der UNO und der Regierung, in der die Sicherheit der Transportrouten zu Land, Luft und Wasser garantiert wird. „Die UNO übte Druck auf uns aus“, sagt Ohure. „Und die Regierung will uns aushungern.“ Der Hunger ist zum politischen Spielball geworden: „Da die SPLA das Abkommen unterzeichnet hat, ist es für die USA und andere schwieriger geworden, den Druck auf Khartum aufrechtzuerhalten“, sagt der Sprecher einer Hilfsorganisation.
Entscheidung zur Regenzeit
Bei seinen jüngsten Besuchen in Kairo hat SPLA-Führer John Garang erklärt, eine Unterstützung für die SPLA bedeute auch eine Sicherung der Nilquellen – dem ägyptischen Lebenselixier – vor den im Sudan regierenden Islamisten. Nun kommen zum ersten Mal seit Monaten wieder LKWs voller Waffen über die ugandisch-sudanesische Grenze. „Uganda hilft uns sehr“, sagt Viehexperte Lohylalesur. Die ugandische Regierung wolle verhindern, daß Hunderttausende Flüchtlinge in den ugandischen Norden ziehen, wenn die Kämpfe wiederaufflammen.
Noch deutlicher wird Daniel Eiffe, ehemaliger irischer Priester und heute Leiter der „Norwegischen Volkshilfe“ und persönlicher Freund John Garangs. Wenn die SPLA einen Freund hat, dann Ugandas Präsident Yoweri Museveni, sagt er: „Der Krieg im Süden Sudans ist Musevenis Krieg. Museveni sorgt sich um seine Nordgrenze. Langfristig ist die ugandische Seite der Grenze ein viel größeres Problem als die sudanesische. Die Achole sind sehr verbittert“. Er erinnert an den jahrelangen Bürgerkrieg in Uganda, bei dem die Soldaten des Achole-Volkes eine große und brutale Rolle spielten und jetzt über die Herrschaft des Süduganders Museveni gar nicht glücklich sind. „Ugandische Soldaten gehen immer noch durch die Dörfer und vergewaltigen die Frauen. Sie sehen alle in der Region als Guerilleros.“
Ein Wiederaufflammen des Krieges im Sudan wird nach dem Papstbesuch am 10. Februar erwartet. Flüchtlinge wie SPLA-Soldaten sagen, die Regierung wolle vor dem Beginn der Regenzeit Mitte März, wenn die Straßen unpassierbar werden, die Region zwischen Juba und der ugandischen Grenze erobern. Eine Viertelmillion Regierungssoldaten sollen kampfbereit stehen. Die Oppositionszeitung Sudan Democratic Gazette hat ein militärisches Planungsdokument der Regierung veröffentlicht, wonach eine breite Offensive von Wau im Südwesten bis Ed Damazin am Blauen Nil geplant sei. Das Dokument bestätigt die Lieferung aus dem Iran von 120 Panzern und Uniformen, kleinen Waffen und Munition für zehn Bataillone. Auch aus Syrien und Jordanien sollen militärische Lieferungen eingetroffen sein.
Father Leon, ein irischer Priester in Loa, sagt eine lange Schlacht voraus. „Die Regierung brauchte sieben Monate, um sich von Juba nach Torit durchzukämpfen. Die nächste Offensive wird genauso langsam. Aber die nächsten drei Monate sind entscheidend.“ Und er nimmt einen großen Schluck aus der Whiskeyflasche. Dan Eiffe, ebenfalls Ire, ist optimistisch. Die Regierungssoldaten in Torit seien schlecht versorgt und demoralisiert. „Zwei der vier Divisionen in Torit sind dezimiert. Die Truppen rächen sich nun an den Tiposi- Stammesangehörigen in der Stadt, die in Rebellion gegangen sind. Torit kann man leicht einnehmen.“
Aber wenn die Straße von dem Grenzort Nimule nach Norden fällt, wäre die Macht der SPLA gebrochen. Hunderttausende Flüchtlinge würden sich auf den Weg nach Uganda machen – und der Regierung käme das entgegen: „Die Regierung will Land ohne Menschen, um den Islam zu verbreiten“, behauptet General Kiir.
„Sonst werden wir vernichtet“
Maker Deng Malou, der im Flüchtlingslager Ame das Schicksal von 60.000 Menschen in der Hand hat, glaubt nicht an eine neue Flucht: „In Kenia und Uganda waren wir schon. Wir wissen, wie schwer es dort ist. Wir brauchen safe havens in unserem eigenen Land. Sonst werden wir vernichtet.“
Makers Wille zu bleiben steht im Kontrast zu den Uneinigkeiten innerhalb der SPLA. Das Flüchtlingslager Ame entstand 1991, als die Regierungstruppen als lachende Dritte aus Kämpfen zwischen zwei SPLA-Fraktionen hervorgingen. „Die Regierungstruppen benutzten die Nasir-Fraktion, um unsere Positionen anzugreifen. Die Menschen wurden nach Süden getrieben“, erinnert sich Ohure.
Genauso könnte es wieder geschehen. In der Grenzstadt Nimule halten die katholischen Schwestern ihre Toyota-Geländewagen immer vollgetankt. „Wir haben keine Angst vor den Soldaten aus dem Norden“, sagt Schwester Liz. „Wir haben Angst vor den Dinka, die vor den Soldaten hergetrieben werden und plündern und nehmen, was sie können.“
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