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Angst vor Zungenküssen und Linken

■ TU-Studentenparlament gegen jede Zusammenarbeit mit "Arbeitskreis für qualifiziertes Studium" und VPM-GFPM / Gesundheitsbehörde:"Sekte mit Nazi-Wortschatz" / Kritiker sind "Linksfaschisten"

Berlin. Der „Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“ sei mitsamt seinem Berliner Ableger „Gesellschaft zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“ eine „Psychosekte“, die „sich eines reaktionären bis rechtsradikalen Gedankenguts bedient“. Mit dieser Begründung hat das Studierendenparlament der Technischen Universität einen einstimmigen Beschluß gefaßt, der sich gegen jede Zusammenarbeit mit der VPM/ GFPM und dem von seinen Anhängern mitgegründeten „Arbeitskreis für ein qualifiziertes Studium“ wendet. Der Hintergrund: Schon seit einiger Zeit fällt der „Arbeitskreis“ an diversen Hochschulen durch aggressives Auftreten und juristisches Vorgehen gegen Kritiker auf.

Die Einstufung des VPM/ GFPM als „reaktionär bis rechtsradikal“ dürfte dem TU-Studentenparlament womöglich noch Ärger einbringen. Dem Landesamt für Verfassungsschutz jedenfalls ist die Gruppierung bislang nicht als rechtsextrem aufgefallen. Die Senatsverwaltung für Inneres hatte die grauen Herren eingeschaltet, nachdem die taz die Mitgliedschaft ihres für Ausländerfragen zuständigen Regierungsdirektors Wilhelm Spatz in der GFPM publik gemacht hatte. Insidern erscheint das allerdings als „Ablenkungsmanöver“, denn von den psycho-unkundigen Verfassungsschützern ist kaum zu erwarten, daß sie solch eine Gruppe als verfassungsfeindlich einstufen.

Hingegen könnten die Studenten von der Senatsverwaltung für Gesundheit unerwartete Schützenhilfe bekommen. Denn diese kam bereits im Juni 1992 in einem internen Gutachten zu der Einschätzung, daß die Wortwahl in VPM-Schriften an Nazi-Vokabular erinnere. Ein mystifiziertes Verständnis von „Gemeinschaftsgefühl“, das im Zentrum des Vereins stehe, so heißt es dort, werde dazu benutzt, um „auf der Basis von provozierten Schuldgefühlen und der Entwertung individueller Lebensverläufe seelische Abhängigkeiten aus(zu)lösen“.

Sodann biete der VPM mit seinen Veranstaltungen eine „anleitende Korrektur“ an. Wer sich dabei aber nicht den Wertungen der VPM von „nützlich“ und „schädlich“, „gesund“ und „krank“ unterwerfen und sein Leben lang „schulen lassen will, kann keine ,befriedigende Ordnung‘ in seine Existenz bringen“. Und weiter: „Es ist also nicht nur das Charakteristikum einer Sekte, nämlich ein ,Heilwissen‘, das ,richtige Wissen‘ und die Wahrheit zu besitzen, das hier auffällt. Die Wortwahl ist bezeichnend: ,Gegen Relativismus‘, was ,nützlich und unnütz, was schädlich ist‘ ist – Vokabeln, die aus der Ideologie des Nationalsozialismus wohl bekannt sind.“

Und weiter: Zu der „Entwertung“ des Individuums „auf Kosten eines irrationalen Gemeinschaftsgefühls“ gehöre auch die „Information, wonach die Mitglieder bzw. regelmäßigen Teilnehmer an den VPM-Veranstaltungen sich sterilisieren sollten – eine Losung, die die Teilnehmer ,perfekt‘ und endgültig infantilisiert: Sie können selber nicht (mehr) Eltern werden, bleiben quasi Kinder und opfern zudem ihre generative Potenz... einer nicht weiter zu bestimmenden und nicht konkreten Autorität“.

Zu diesem Szenario paßt die sexuelle Enthaltsamkeit, die die dem VPM nahestehende „Aids-Aufklärung Schweiz“ in ihrer Broschüre „Was junge Menschen über Aids wissen sollten“ Jungverliebten predigt. Im Kapitel „Wie Karin und Felix sich kennenlernten“ wird folgendes beispielhafte Verhalten empfohlen: „Noch wenige Wochen, bevor er Karin kennenlernte, hatte Felix intimen Kontakt mit einer anderen Frau gehabt. So beschlossen die beiden, sechs Monate mit Zungenküssen, Petting und Geschlechtsverkehr zu warten und danach den HIV-Test zu machen.“ Erst danach „konnten sie es verantworten, sich auch sexuell näherzukommen. Beim Geschlechtsverkehr benutzten sie immer ein Präservativ... Nach weiteren sechs Monaten, also gerade zum einjährigen Jubiläum ihrer Liebe, machten beide nochmals den HIV-Test, um wirklich sicher zu sein.“

Diese lebensferne Haltung, gepaart mit extremer Angst vor Ansteckung, findet sich immer wieder in VPM-Materialien. „Im Zusammenleben mit einem HIV-Infizierten“, heißt es dazu in der Broschüre, „sollte man Gegenstände zur Körperpflege wie Zahnbürste und Rasierapparat nicht gemeinsam benutzen.“ Unter Leitung eines dem VPM nahestehenden Lehrers hätten Schüler ein Aufklärungsvideo über Aids erstellt, berichtete der Kölner Stadtanzeiger, der vor dem gemeinsamen Ziehen an einer Zigarette, Zungenküssen und dem gemeinsamen Benutzen eines Trinkglases warnte. „Der panischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt“, so VPM-Kritiker Eugen Sorg über die Atmosphäre innerhalb der Vereinigung, die in der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich inzwischen mehrere tausend Anhänger zählt. „Am besten bleibt man im keimfreien Ghetto unter seinesgleichen zu Hause und in den Gruppenräumen, wo man sichergehen kann, daß die Hände gewaschen sind und beim Käse-Raffeln die Gummihandschuhe angezogen, die Toiletten desinfiziert und die Gedanken rein sind.“

Solche despektierlichen Äußerungen reizen den VPM/GFPM bis aufs Blut. Er versuchte nicht nur, das Buch von Sorg gerichtlich aus dem Verkehr ziehen zu lassen, sondern auch, den Autor unter Einbeziehung seiner persönlichen Verhältnisse zu diffamieren. Ein ähnliches Schicksal traf Hansjörg Hemminger, der 1991 als wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) einen VPM- kritischen Artikel für eine Werkmappe „Sekten“ verfaßte. Jede Kritik, beschrieb Hemminger darin die Weltsicht des VPM, sei ein „von linksextremen Kreisen“ geführter Feldzug, „und die übrigen Kritiker wurden entweder getäuscht oder schließen sich böswillig der Kampagne an. Die ,Linksfaschisten‘ (der VPM-übliche Ausdruck für den Gegner) zielen darauf, die bürgerliche Gesellschaft zu unterminieren, indem sie destruktive Kräfte fördern, seien es Aids, Drogen, Neurosen usw. Dieser Verschwörung steht der VPM im Weg, da er über therapeutische und präventive Mittel gegen den Zerfall verfügt, und daher wird er zum Hauptgegner der Umstürzler.“ Die Antwort des Vereins, der damit Hemmingers Beschreibung indirekt, aber dennoch prompt bestätigte: Das sei die „Schmähkritik“ eines „Alt-68ers“, der Kontakt zu „linksextremen Kreisen“ habe. Nach juristischen Interventionen durfte Hemminger sein Papier in der Schweiz und in Österreich nicht weiter verbreiten, wohl aber in Deutschland. Das Landgericht Rottweil wies im Januar 1992 einen VPM-Antrag auf einstweilige Verfügung in allen Punkten zurück.

Auch ein Berliner Mitarbeiter der evangelischen Kirche bekam einigen Ärger. Im Herbst letzten Jahres, so berichtete ihr Sektenbeauftragter Pfarrer Gandow der taz, habe er während einer Veranstaltung eine Anhängerin der Vereinigung beim Klauen eines VPMReaders auf einem Büchertisch erwischt. Doch diese, so Gandow, „zeigte keinerlei Unrechtsbewußtsein“. Statt froh zu sein, daß er nicht die Polizei rief, zeigte sie ihn später wegen Nötigung an, weil er sie gedrängt hatte, ihren Ausweis zu zeigen.

Studentische Kritiker haben ebenfalls schon oft erleben müssen, wie schnell der VPM/GFPM mit juristischen Mitteln bei der Hand ist. Studenten aus der Fachschaft Medizin in Köln und dem AStA der FU wurden wegen ihrer detailreichen Warnungen vor dem „Arbeitskreis qualifiziertes Studium“ mit Gegendarstellungen und Unterlassungserklärungen überzogen. Kein Wunder also, daß das Studentenparlament der TU zum Befreiungsschlag ausholen wollte. taz

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