: Selbstgerechte Männerjustiz
■ Bundesweit werden nur 25 Prozent der angezeigten Sexualverbrecher verurteilt
der angezeigten Sexualverbrecher verurteilt
Vergewaltigte Frauen haben vor Gericht oft einen schweren Stand. Denn nach geltender Gesetzeslage liegt eine Vergewaltigung nur dann vor, wenn der Täter nachweisbar körperliche Gewalt ausgeübt hat. Die Ausnutzung brutaler psychischer Gewalt — Angst und Panik — wird in der Definition vieler Gerichte nicht als Gewalt anerkannt. Ein Beispiel: Eine Anhalterin wird auf der Fahrt von dem Mann bedrängt. Sie hat Panik, erstarrt vor Angst. Der Mann biegt in einen einsamen Waldweg ein. Noch immer ist die Frau wie gelähmt, aus Furcht, umgebracht zu werden, traut sie sich nicht, sich dem Mann zu widersetzen.
Vor Gericht behauptet der Vergewaltiger später, die Anhalterin habe in den Sexualverkehr eingewilligt. Der Mann wird freigesprochen. Begründung des Gerichts: Die Frau habe sich ja nicht gewehrt oder habe nicht einmal versucht, aus dem Auto zu flüchten und wegzulaufen, obwohl die Autotür nicht verriegelt gewesen war. Deutsches Recht! Oder im Klartext: Wer versucht, einer Oma die Handtasche zu entreißen, hat sich bereits einer Gewalttat schuldig gemacht. Wer eine Frau unter Anwendung psychischen Drucks vergewaltigt, kann ungeschoren davonkommen.
Nach einer bundesweiten Statistik werden daher nur knapp 25 Prozent der angezeigten Täter verurteilt. Eine Quote, die der LKA-213-Chef Günther Kröger für Hamburg nicht gelten lassen möchte: „Ich bezweifle diese Zahl. Für Hamburg zumindest trifft diese Angabe nicht zu. Wenn wir in Hamburg einen Fall aufklären — und die Aufklärungsquote liegt immerhin bei 68 Prozent —, kommt es im Regelfall zur Anklage und zur Verurteilung.“ Auch der zuständige Dezernatsleiter der Staatsanwaltschaft, Jürgen Detken, bezweifelt die 25-Prozent-Marge: „In Hamburg liegt die Verurteilungsquote auf jeden Fall höher.“ In der Elbmetropole habe es im vergangenen Jahr 325 Verfahren wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung gegeben. Detken schätzt, daß fast 70 Prozent aller Angeklagten verurteilt worden sind.
Nach Angaben von Günther Kröger seien mittlerweile in Hamburg sehr viele Verfahren abgeschlossen worden, in denen zunächst Aussage gegen Aussage gestanden habe und es dennoch zur Verurteilung gekommen sei. Doch auch Kröger muß eingestehen: Die 300 angezeigten Vergewaltigungen in der Elbmetropole sind nur höchstens ein Viertel dessen, was sich tatsächlich an Sexualstraftaten ereignet hat. Astrid Burkhardt/Kai von Appen
Hilfe finden Frauen zum Beispiel beim Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen, Tel: 255566; Dolle Deerns (Hilfe für sexuell mißbrauchte Mädchen u. Frauen) Tel: 4394150
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