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Wenn das Eis fest ist...

Ortsbesichtigung: Die schlittschuhfesten Seen im Berliner Umland  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Manchmal ist das Leben wie eine Kinderfibel. Im Frühling laufen Kinder durch blühende Blumengärten, im Sommer spielen die Frechdachse am Strand, im Herbst steigen Drachen in einen stürmischen Himmel, und im Winter vergnügt man sich auf Schlittschuhen. Tausend Seen und größere Pfützen in und um Berlin locken die Läufer, die es einsam und weit haben können, wenn sie mögen, oder auch belebt, lustig und eng.

Im allgemeinen ist das Eis dann fest, wenn die ersten Polizeiberichte in den Zeitungen davor warnen, daß es nicht fest sei. [Und wenn dem Esel dann zu wohl wird, und er sich dummerweise auch noch auf den Autoren verläßt, wechselt er in ein besseres Leben! d. säzzer] Wer unsicher ist, folgt am besten den Einheimischen oder doch zumindest den Schlittschuh-, Fuß- und Hundespuren.

Besonders innig gestalten sich die Beziehungen zu den Seen, in denen man des Sommers noch gebadet hatte, obgleich sich die Präferenzen meist ein wenig ändern. War im Sommer also noch der flaschengrüne Liepnitzsee der Hit, so sucht man sich im zarten Frost eher kleinere und flachere Gewässer.

20 Kilometer oberhalb von Berlin zum Beispiel träumt der Goriner See vor sich hin. Wo im letzten Sommer überall noch Straßen gebaut wurden und man durch imposante Staubwolken hindurch mußte, um irgendwann am See zu landen, ist jetzt alles glatt und sauber und autofahrerfreundlich. Der See liegt im Dunst, und die Läufer verteilen sich auf der Eisfläche; manche Schlittschuhe sehen ein bißchen aus, als hätten sie sich ein Clownskostüm angelegt, andere wirken so, als hätten sie schon zwei Generationen übers Eis getragen, wieder andere leuchten in schicken Modefarben. Seltener findet man Läufer, die sich die Kufen einfach nur unter die Stiefel geklemmt haben. Ab und an fliegt jemand hin und haut sich ein Loch in den Kopf, und das Blut rinnt ein wenig und sieht klasse aus. Wenn man das Ohr ans Eis legt, klingt es ein bißchen wie fernes Laserschießen in billigen SF-Filmen. Die Menschen verteilen sich weit übers Eis, emsig bemüht, ein bißchen gesunde Gesichtsfarbe zu kriegen. Wer die Wiederholung schätzt, läuft gerne Achten unterschiedlicher Größe. Erschöpfte Eltern ruhen sich dann in den stilsicheren sechziger Jahren des „Strandidylls Gorinsee“ aus und blicken versonnen aufs Eis.

Auf dem Caputher See, links unten von Berlin, amüsieren sich kleine Jungs auf kleinen Eishockeyfeldern. Wer das Abenteuer liebt, sucht jenseits der einheimischen Eislaufspuren die einsame Weite des See zu umfahren. Wenn dicke Erwachsene einbrechen, ist die Freude der Kleinen ganz groß. [Und wenn erstmal dicke Autoren einbrechen... d. säzzer] Aufwärmen kann man sich dann in Caputh (vom Caputher See Richtung Potsdam). Dort begrüßt einen schlehenfeuerrot das äußerst angenehme Café und Restaurant „Wolff“ mit wohnzimmerähnlichem DDR-Charme. Hier wird dem Gast noch eine der letzten auch in der „freien“ Marktwirtschaft unumstrittenen sozialistischen Errungenschaften, eine prima Soljanka also, angeboten. Souverän in seiner braunen Hausjacke und freundlich eilt der schwergewichtige Wirt von einem zum anderen.

Am Schlachtensee sind die besten Eisläufer über vierzig (wahrscheinlich sind in Zehlendorf ohnehin alle vierzig. Oder fünfzig). Rentnerpaare deuten Paarlauf an; als wär's ein etwas zu altmodischer Sport. Jedes Jahr bricht jemand ein, der sich zu weit in Richtung Krumme Lanke gewagt hat. Der kriegt dann zum Schaden noch den zweifelhaften Nachruhm und geistert als warnendes Beispiel ein paar Tage durch die Kurzmeldungen der Presse. Wenn die Zeitungen es allerdings noch nicht einmal für nötig befunden haben, vor dem Betreten des Eises zu warnen, sollte man sich tatsächlich davor hüten und lieber spazierengehen oder ins Polarium des Friedrichshainer „Sport- und Erholungszentrums“ ziehen. Das SEZ ist eine Art Teenagerparadies. Gewandt und imponiersüchtig flitzen ein paar Jungs zwischen unsicheren Läuferinnen und einigen betagten (ab 25) MitbürgerInnen umher. Softer Technokram untermalt das zeitlose Gleiten junger Kifferinnen. Leichtbekleidete SchwimmerInnen trinken – nur durch große Fenster von den Schränken der Eisläufer getrennt – einen Milchshake. Auf den Rängen schauen interessiert und stundenlang ein paar Teenager zu, denn „Es ist der Sonntag des Lebens, der alles gleichmacht, und alle Schlechtigkeit entfernt; Menschen, die so von ganzem Herzen wohlgemut sind, können nicht durch und durch schlecht und niederträchtig sein.“ (Hegel)

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