: Hilfe in Sicht für die traumatisierten Frauen
■ Im kroatischen Visegrad können bald die ersten Betroffenen untergebracht wer- den, aber noch fehlt es an Erfahrung mit der Therapie von vergewaltigten Frauen
Die Baracken des Lagers am Stadtrand von Zagreb sind notdürftig hergerichtet. Auf den ungeteerten, von tiefem Schlamm überzogenen Wegen spielen Hunderte von Kindern, Frauen holen Brot aus der Küchenbaracke. An den Straßenecken stehen einige Männer in Uniform – Mitglieder der bosnischen Armee, die ihre Angehörigen hier besuchen dürfen. Über 5.000 Menschen sind hier in diesem Lager untergebracht, dessen Baracken einstmals den Bauarbeitern der nahegelegenen chemischen Werke dienten.
In einem der dunklen Zimmer vermischt sich der modrige Geruch druchnäßter Wände mit dem aufsteigenden Rauch eines Bullerofens, der für die hier lebenden 13 Menschen aus fünf Familien die Wärme spendet. Drei Doppelbetten sind aufgestellt, daneben einige Bündel mit Utensilien, einige Erinnerungsstücke vielleicht oder auch nur Kleiderbündel, die von den Hilfsorganisationen übergeben worden sind.
„Wir kommen alle aus Kosarac“, erklärt eine ehemalige Fabrikarbeiterin, die mit ihren 50 Jahren zu den jüngeren Frauen in diesem Zimmer zählt. „Am 24. Mai haben die Serben Kosarac angegriffen“, beginnt sie zu erzählen. Tränen schießen ihr in die Augen, als sie berichtet, daß auch Nachbarn unter den Angreifern waren. „Wir waren doch einige Tage vorher noch zusammengesessen, haben Tee getrunken und gelacht“, berichtet sie stockend. Ihre beiden Söhne wurden von den Milizionären noch auf dem Hof des Hauses umgebracht. „Die drei Töchter meiner Schwester sind seither verschwunden.“ Ihre Stimme bricht ab. Nach einer Pause erzählt ihre neben ihr sitzende jüngere Nachbarin, Mutter von drei Kindern, die weiteren Stationen des Leidensweges. „Wir durften nur das mitnehmen, was wir auf dem Leib trugen, selbst die Schuhe haben sie uns genommen.“ Sie wanderten Richtung Süden, wurden aufgegriffen und in das Konzentrationslager Trnopolje gebracht. Auf die Frage, was dort passierte, setzt Schweigen ein. Seit fünf Monaten leben sie nun im Lager vor Zagreb.
Zusammenarbeit verläuft nicht gerade reibungslos
„Wir wollen alle wieder zurück nach Hause.“ Doch unter den gegebenen Umständen ist das wohl kaum möglich. „Es sind einige Frauen darunter, die das Leben hier nicht mehr aushalten können, die können vielleicht bald nach Visegrad“, sagt eine der Betreuerinnen. Denn dort wird gerade das erste Haus für vergewaltigte Frauen eröffnet. Das Haus im kroatischen Visegrad ist ein modernes Gebäude, das während der Kämpfe zu Beginn des Krieges in Kroatien im Herbst 1991 arg zerstört worden war. Doch nun sind die Fenster neu gerahmt, die Zimmer gestrichen und mit vier bis acht Betten ausgestattet. Hier in Visegrad, nordöstlich von Zagreb, sollen schon bald die ersten Frauen einziehen. „Wir wollen jedoch nicht nur vergewaltigte Frauen aufnehmen, ihnen werden nur 30 bis 40 der insgesamt 150 Plätze zugewiesen. Denn wir wollen von vornherein eine Stigmatisierung dieser Frauen als Geschändete vermeiden“, erklärt der Leiter Mladen Gerakovic den ersten BesucherInnen. Auch andere Flüchtlingsfrauen mit Kindern würden aus den überbelegten Flüchtlingslagern geholt. Mit den beiden Krankenschwestern und dem anderen Personal ist die Funktionsfähigkeit der neuen Institution gesichert; für die Lebensmittellieferungen sei jedoch noch keine Hilfsorganisation gefunden worden.
Für die Frauen, Flüchtlinge aus den großen Lagern – im Ganzen gibt es über 700.000 Flüchtlinge allein in Kroatien –, dürfte die Unterbringung eine enorme Erleichterung bedeuten. Auch der schnelle Umbau ist angesichts des trostlosen Lochs im kroatischen Staatshaushalt eine durchaus respektable Leistung. Doch ist den künftigen Betreibern anzumerken, daß ihnen die Erfahrungen mit der Therapie von Frauen, die mit derartigen Erlebnissen hierherkommen, schlicht fehlen.
Angesichts des Umfangs des Elends der Vertriebenen kann dieses Haus jedoch nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein sein. „Natürlich sind da auch die Hilfsorganisationen gefordert“, erklärt Kroatiens Vize-Ministerpräsident Mate Granić, der für die Flüchtlingsfragen zuständig ist. „Es wird viele Projekte geben, denn die Bereitschaft zu helfen ist groß. Wir als Regierung behalten uns jedoch die Kontrolle dieser Hilfstätigkeit vor. Nehmen wir einmal das Problem der Adoptionen, das jetzt auf uns zukommt – immerhin sind schon einige Kinder geboren worden. Diejenigen Frauen, die diese Kinder ablehnen, sollen ja nicht gezwungen werden, sie zu behalten. Wir müssen aber darauf achten, daß es nicht zu Menschenhandel kommt. Am liebsten arbeiten wir deshalb mit den erprobten Hilfsorganisationen zusammen.“
Daß aber diese Zusammenarbeit nicht reibungslos verläuft, mußten die Vertreter der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur zur Kenntnis nehmen. Als am Samstag die Präsidentin des deutschen Bundestages, Rita Süssmuth, ein für vergewaltigte Bosnierinnen vorgesehenes Haus in Donia Stubica bei Zagreb besichtigen wollte, das von Cap Anamur angemietet worden ist, waren noch angetrunkene Soldaten in dem Haus. Wie es hieß, würden dort Verwundete betreut.
Gerade hatte die Delegation der Bundestagspräsidentin einem Vertreter des Auswärtigen Amtes einen Scheck über 185.000 Mark Spendengeld für Cap Anamur überreicht, als ihnen der Eintritt in das frühere Ferienheim verwehrt wurde. Die Soldaten dächten nicht daran, das Haus zu räumen. Ein kleiner Skandal also? „Die Verträge waren schon für den 1. Februar von der Regierung unterzeichnet worden“, gab Rupert Neudeck, der Chef von Cap Anamur, zu Protokoll. „Die Realität hat in dieser Szene ihren Ausdruck gefunden.“ Regierung und Armee – offenbar zwei Paar Stiefel. Von der Regierungsseite scheinen die Hürden für die Hilfsmaßnahmen jedoch ausgeräumt. Minister Granić: „Wir nehmen ausländische Hilfe gern in Anspruch.“ So die Armee die Häuser freimacht. Erich Rathfelder, Zagreb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen