Gewohntes Elend

Rund um die Sielwallkreuzung wankt wieder das Elend. Im Oktober/November letzten Jahres hatte es so ausgesehen, als sei das öffentliche Sterben der Junkies weniger geworden. Und wer vielleicht nicht geglaubt hat, daß weniger gestorben würde, der hatte wenigstens gehofft, daß das Sterben nicht immer im selben Teil der Stadt stattfindet. Man gewöhnt sich erschreckend schnell. Eine Täuschung, eine kurze Atempause nur: Repression hin, Dezentralisierung her — im Ostertor sieht es aus wie zu den Zeiten vor dem Drogensofortprogramm.

Alle bekunden, sie wollten die offene Szene auflösen, nur die offene Szene scheint das nicht zu stören. Platzverweise für Dealer — werden über Kuriere ausgeglichen. Beratungsstellen in anderen Stadtteilen — die wirklich Elenden kommen nicht weiter als bis zum nächsten Dealer. Und der ist im Viertel. Gewohnheitsrecht! Solange das der Grund für eine zentrale Beratungsstelle ist, so lange dreht sich die Diskussion im Kreis, und so lange wird sich an der Szene nichts ändern. Auch wenn niemand ernsthaft glaubt, das Drogenproblem 'lösen' zu können, die Ostertorschen können erwarten, daß die Politik einen längeren Atem hat. An deren Elend wollen sich genauso wenige gewöhnen wie an das Sterben vor der Haustüre. Jochen Grabler