■ Die Türkei will sich als „europäisches Land“ beweisen: Türken am Südpol
Die Türkei, die seit der Gründung der türkischen Republik nur eine einzige Militäroperation durchgeführt hat – Zypern 1974 – scheint die Scheu und Zaghaftigkeit heute abgeschüttelt zu haben. Sie ist militärisch, politisch und kulturell in ungewohnter Weise aktiv: in Irakisch-Kurdistan, im kaukasischen Aserbaidschan und Nachitschewan und in den einst sowjetischen Turk-Republiken Zentralasiens. Die Türkei ist beseelt von dem Wunsch, in Bosnien die Initiative zu ergreifen, und türkische Soldaten sind im Einsatz in Somalia.
Was sucht die Türkei heute in Somalia, auf dem Balkan, im Kaukasus und im Irak? Die Antwort offenbart sich in den Widersprüchen der „Neuen Weltordnung“. Die Türkei übernimmt die Rolle eines Grenzpostens des Westens (oder Nordens) gegen den Osten (oder Süden), gegen den islamischen Radikalismus, der das politische Vakuum nach dem Zerfall der politischen Regimes in der Sowjetunion und Osteuropa auszufüllen droht.
Die Türkei fürchtet aus der europäischen Einheit herausgedrängt zu werden; und sie hofft, dem zu entgehen, indem sie gegen den iranischen Einfluß in Zentralasien und dem Kaukasus auftritt und am Golf Seite an Seite mit den Alliierten das Saddam-Regime bekämpft.
Aus demselben Grund will die Türkei unbedingt an einer möglichen Militärintervention des Westens in Bosnien teilnehmen. Der Umstand, daß türkische Truppen im Herzen Europas an einer alliierten Militäroperation teilnehmen, wäre der endgültige Beweis, daß die Türkei ein „europäisches Land“ ist. Es sollte uns künftig nicht verwundern, wenn die Türkei an allen Militäroperationen des Westens mitmacht – auch wenn es sich um den Südpol handelt.
Das einzige Ziel, das die herrschenden Klassen der Türkei und der Westen mit der Neuauflage von osmanischen Großreichsphantasien verfolgen, ist, die verarmte arbeitende Bevölkerung in der Türkei mit irredentistischen Träumen für den Herrschaftskampf des Westens über den Osten zu gewinnen. Ertugrul Kürkcü
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