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Die Universität als Intensivstation

■ Zu seiner Emeritierung zieht der ehemalige FU-Präsident Eberhard Lämmert ein Resümee seiner Erfahrungen mit der Bildungsreform der 60er und 70er Jahre

taz: Sie waren in einer Zeit FU- Präsident, als die Hoffnungen auf eine Reform der Universitäten hin zu mehr inneruniversitärer Demokratie noch die Geister beflügelte. Wie beurteilen Sie im nachhinein die Versuche einer Demokratisierung der Universität?

Lämmert: Die Demokratisierung der Universität, da kam viel Richtiges und viel Illusionäres zusammen. Illusionär war es, die Universität als Staat im Kleinen zu betrachten und sie zu organisieren wie eine Demokratie mit Parlamenten, wo jede Stimme ein gleichberechtigtes Votum sein soll. Die Funktion, eine Ausbildungsstätte zu sein, kann nicht zu den völlig gleichen Formen der Mitbestimmung führen wie in der politischen Arena. Richtig war aber, daß es nicht anging, daß einige wenige über die wissenschaftliche Laufbahn von vielen einsame Entscheidungen treffen konnten. Vorher konnte ja wirklich ein Ordinarius sich am Frühstückstisch überlegen, ob er seinen Assistenten nicht mehr verlängern möchte, und kein Mensch konnte ihm ins Wort fallen. Bei den Studenten- und Assistentenprotesten der damaligen Zeit kam aber noch eines hinzu: Man muß sehen, daß in einer Zeit, in der sich die technischen und kulturellen Lebensbedingungen sehr viel rascher verändern als früher, notwendigerweise der Protest der Studenten und der jüngeren Wissenschaftler sich auch dagegen richten mußte, daß die Älteren vieles aus ihrer Lebenserfahrung lehren, was für die Jüngeren nicht mehr relevant sein wird. Eine sehr rasche technische und industrielle Entwicklung untergräbt zwangsläufig die Autorität der älteren gegenüber der jüngeren Generation.

Damals ist ja das Modell der Gruppenuniversität entworfen worden, um die Universität zu demokratisieren. War es von Anfang an illusionär?

Es hätte ein Funktionsmodell sein müssen, bei dem der Zweck, nämlich die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz, im Vordergrund gestanden hätte. Es hat keine Vermittlung gegeben zwischen dem, was die Aufgabe einer Universität ist und dem, was alle ihre Angehörigen für sich an Rechten beanspruchen dürfen. So wurde nie dafür gesorgt, daß die Gruppenarbeit dort aktiv wurde, wo sie sinnvoll war, nämlich am Arbeitsplatz, in den Laboren, in den Seminaren. Statt dessen wurde alles ausgetragen in den zentralen Gremien. Es ist die falsche Entwicklung und auch die falsche Auslegung der Gruppenuniversität gewesen, auch die falsche Praxis, daß die zu Gruppen formierten Funktionsbereiche der Universität jeweils ihren Anspruch an die Universität stellten und ihren Anspruch auch gegen den Anspruch der anderen Gruppen durchzusetzen und auszutarieren versuchten. Diese Auffassung der Gruppenuniversität, als ob hier wie im öffentlichen Leben Interessengruppen gegeneinander ihre Ansprüche durchsetzen müßten, diese Anspruchshaltung hat eigentlich die Gruppenuniversität zu Recht in Verruf gebracht.

Gäbe es denn Chancen, die Universität so zu reformieren, daß solche Fehlentwicklungen vermieden werden, ohne zur alten Ordinarienuniversität zurückzukehren?

Da muß man sich nur gute angelsächsische Universitäten ansehen. Da hat der Professor keinen Assistenten, aber er hat auch nur eine übersehbare Zahl von Schülern, und es arbeiten jüngere und ältere Wissenschaftler zusammen, ohne daß der eine über den anderen das letzte zu sagen hat. Bei einer solchen partnerschaftlichen Einrichtung sind gar nicht so viele Autoritätskonstruktionen notwendig wie an deutschen Universitäten, wo viel auf Autorität und Laufbahnregularien gesetzt wird.

Leidet die FU heute noch darunter, daß sie einmal die Universität des Aufbruchs war?

Das ist sicher so. Ich habe die FU einmal die Intensivstation für die Generationenprobleme der Bundesrepublik genannt. Sie war die große Experimentaluniversität seit ihrer Gründung. Und wenn man sie jetzt hämisch als unbeweglichen Tanker betrachtet, so muß man doch auch sehen, daß sie in der Zeit, als die Mauer noch stand, die größte menschliche Verbindungsbrücke zu Westdeutschland war. Diese Versammlung von junger Intelligenz aus allen Bereichen Westdeutschlands und des Auslands im eingeschlossenen Berlin war einer der größten Dienste, die diese Universität der Stadt leisten konnte, damit sie nicht in provinzielle Abgeschlossenheit verfiel. Interview: Winfried Sträter

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