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Das Ende der Travelleridylle

Eine Insel wird verkauft  ■ Von Thomas Brandt

Nach einer Stunde abenteuerlicher Fahrt auf dem chinesischen Meer nähert sich das in roten und weißen Farben bemalte Holzboot mit dem Namen „Paradies“ der größten der indonesischen „Gili- Islands“: Gili-Trawangan ist in Sicht. Bevor man jedoch den weiß Sandstrand betritt, überquert man das Korallenriff. Die Insel ist eines der weltbesten Schnorchelreviere. Kristallklares Wasser. Das Taucherherz schlägt höher. Nach Erreichen des Ufers übernehmen Pferdekutschen den weiteren Transport. Einige Tage Aufenthalt ohne Autos stehen bevor.

Vierhundert Einwohner hat diese Nachbarinsel Balis. Sie leben vom Fischfang, der Landwirtschaft und seit Anfang der siebziger Jahre von der Vermietung ihrer Strandhütten an Rucksacktouristen. Sie finden hier eine günstige Unterkunft mit den aus Holz- und Bambusmaterial erbauten Bungalows mit Blick auf das Meer.

Ein kleines Schlaraffenland: vom morgendlichen Früchteteller mit Papaya, Ananas und Bananen, die typischen „Seafoodgerichte“: vom Haifischsteak in Knoblauchsoße über den Tintenfisch in allen Zubereitungsformen bis zur Seealgensuppe. Serviert werden diese exotischen Leckerbissen in vier kleinen Restaurants.

Doch die Traveller-Idylle gehört schon heute der Vergangenheit an. Anfang August gab die indonesische Regierung bekannt, daß fast alle jetzigen Unterkünfte geschlossen werden und die Insel an japanische Investoren verkauft wird. Am Korallenriff soll bald ein riesiger Hotel- und Freizeitkomplex entstehen. Ein Ort für die Jet- set-Society mit 18-Loch-Golfplatz auf einer Insel, die man in zweieinhalb Stunden Fußmarsch umrunden kann.

Die schlichten Bungalows mit dem preiswerten Angebot haben dem Hotelvorhaben zu weichen. Ihre Zahl soll von 250 auf 75 reduziert werden. Ihre Besitzer werden umgesiedelt. Sie bekommen kleinere Parzellen am unattraktiven Südzipfel der Insel zugewiesen. Die Betreiber erhalten neben der allgemeinen Umzugsprämie von 250.000 Rupia eine Entschädigungszahlung von 100.000 Rupia pro Restaurantbesitz und 50.000 Rupia pro Bungalow.

„Diese Zahlungen haben nicht annähernd den Charakter einer Kompensation“, beklagt sich Wanita M (*Name geändert) aufgebracht, „wenn man bedenkt, daß die Errichtung eines neuen Bungalows 2.000.000 Rupia kostet.“

Wanita M., die ihre Empörung in gebrochenem Englisch äußert, stammt aus Surabaya (Java) und war 1973 als eine der ersten auf die Insel gekommen, um sich in Gili Trawangan niederzulassen. Vom damaligen Inseleigentümer wurde ihr die Bodennutzung ohne Befristung zugesichert. Neben den eher symbolischen Entschädigungszahlungen ist sie besonders aufgebracht über die Ungleichbehandlung bei der Umsiedlung. So erhält jeder der 23 Unterkunftsbetreiber eine neue, jedoch für alle gleichgroße Fläche, zugewiesen. So gesellt sich zum Schaden noch die Mißgunst unter den Betroffenen.

„Drei Hektar (30.000 Quadratmeter) hatte ich bisher, und nun soll ich 1.500 Quadratmeter bekommen. Das ist doch lächerlich! Mein Nachbar“, ihr Arm weist auf das kleine Nachbargrundstück, „hat nur 400 Quadratmeter. Jetzt kriegt er 1.500 Quadratmeter, genau wie ich. Das ist das Vierfache seiner bisherigen Fläche. Mir bleibt von meinem Land gerade ein Zwanzigstel. Zudem er sich erst im letzten Jahr hier niedergelassen hat und wird behandelt, wie wir, die wir nun schon seit zwanzig Jahren hier leben.“

Durch diese Ungleichbehandlung gelang es der Regierung bereits, zwei Drittel der Unterkunftsbetreiber auf ihre Seite zu bringen. Doch Wanita sowie weitere acht Betreiber und sämtliche Farmer weigern sich noch, die gestellten Bedingungen anzunehmen. Wanitas Familie erhält nur die Erlaubnis zum Aufbau von fünf Bungalows. Ihre Großfamilie wird sie damit nicht ernähren können. Die neuen Herren der Insel haben bereits klargestellt, was sie von den Protestierern halten: Wer nicht kuscht, bekommt keinen Job. Die für den Hotelkomplex benötigten Arbeitskräfte würden dann eben von den Nachbarinseln rekrutiert. Enttäuschung, Gefühle der Machtlosigkeit und Zukunftsangst prägen die Stimmung vor Ort.

Japanische Unternehmen investieren zunehmend mit Urlaubsinseln im asiatischen Raum. Die indonesische Regierung hofft auf die Steuereinnahmen, die sich durch „Dollartouris“ vervielfachen sollen. Aufgrund der Einstellung von westlichen Entwicklungshilfen ist sie dringend darauf angewiesen. Der Tourismus als Devisenbringer soll die Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas verringern. Die Tourismuseinnahmen, die 1990 noch hinter denen der Öl-, Holz- und Textilbranchen an vierter Stelle rangierten, sollen bis 1994 an zweiter Stelle der Statistik stehen. Die Tourismusentwicklung zielt daher in erster Linie auf den finanzkräftigen, japanischen, australischen oder westeuropäischen Gruppentouristen mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von zwei Wochen.

Als Beispiele dienen die Hotelorte Kuta, Sanur und Nusa Dua in Südbali: in diesen geschlossenen Hotelburgen ist die einheimische Währung nicht bekannt, da jeder Preis ausschließlich in US-Dollar angegeben wird. Auf der Speisekarte dominiert das Wiener Schnitzel, und der Tourist aalt sich im hoteleigenen Swimmingpool, obwohl der Strand nur einige Schritte entfernt liegt. Der Pool wird sicherlich deshalb vorgezogen, weil man am Strand sofort von einer Schar von Schmuck-, Spirituosen-, Drachen- und Harpunenverkäufern umlagert wird und sich vor diversen Massage- und Zopfflechtangeboten kaum retten kann. Vielleicht wird auch Wanita M. und ihre Familie bald ähnliches anbieten.

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