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Bis zur Unkenntlichkeit getarnt

Ein Buch über den erfolgreichsten „neuen Verführer“ Europas, Jörg Haider  ■ Von Dorothea Hahn

Wer es nicht gelesen hat, braucht in Wien gar nicht erst ins Kaffeehaus zu gehen. Denn dort ist das Buch mit dem eingängigen Titel „Haiders Kampf“ seit Monaten in aller Munde und hat für eine Inflation von Rechtsextremismus- ExpertInnen gesorgt. Bei Einspänner und Melange schleudern sie sich jetzt Haider-Zitate und kompromittierende Kontakte des Chefs der Freiheitlichen Partei (FPÖ) um die Ohren und versichern sich, wie gefährlich der Mann „für Österreich und die Welt“ sei.

Haider selbst betreibt unfreiwillig die Werbung für den Bestseller, der ihn zum Gegenstand und Gegner hat. Jeder neue Auftritt – egal ob beim Anti-Ausländer-Volksbegehren „Österreich zuerst“ oder bei der Abspaltung der letzten verbliebenen „Liberalen“ von der FPÖ – verhilft dem kernigen Parteichef zu Schlagzeilen – und dem Buchautoren und Journalisten Hans-Henning Scharsach zu neuen Rekorden: Seit der Erstveröffentlichung vor fünf Monaten ist „Haiders Kampf“ Österreichs meistverkauftes Buch, 50.000 Exemplare sind bereits über den Tresen gegangen, die elfte Auflage ist in Vorbereitung.

Scharsach hat mit seinen Fragen– ist Haider ein Rechtsextremist? Ein Neonazi? Ein Faschist? – ins Schwarze getroffen. Die ÖsterreicherInnen wollen wissen, mit wem sie es bei dem erfolgreichsten und zugleich umstrittensten Politiker ihres Landes zu tun haben. Einfach geschrieben, übersichtlich gegliedert und leicht zu lesen, liefert Scharsach, der als Auslandschef in der österreichischen Boulevardzeitung Kurier arbeitet, eine Fülle von Details. Er spürt dem jugendlichen Haider nach, der als 16jähriger Wettkampfredner mit deutschnationalen Thesen den Turnerverband begeisterte. Er skizziert den Karrieristen, der seine einstigen Ziehväter und -mütter aus der Partei schmeißt, sobald sie ihm lästig werden. Er beschreibt den Opportunisten, der öffentlich gegen „Parteienfilz“ zu Felde zieht und hinter den Kulissen seine Gefolgsleute in Spitzenpositionen hievt. Und er entlarvt den Demagogen, dessen Sprache nah an der des NS-Regimes liegt.

Die Parallelen zu Adolf Hitler sind allfällig. Scharsach will Haider jedoch nicht als bloße Reinkarnation bezeichnen. Für ihn ist der FPÖ-Chef vielmehr der erfolgreichste Vertreter eines ganz neuen Politikertyps, der von Oslo bis Marseille und Mailand Furore macht: der „bis zur Unkenntlichkeit getarnte neue Verführer“. Diese Verführer kämpfen nicht gegen die Demokratie, sondern gegen „Filz“ und „Bürokratie“. Sie haben den Antisemitismus durch Ausländerfeindlichkeit ersetzt. Und sie bedienen sich der Wissenschaft, um ihren Rassismus zu begründen. Sie bauen – so Scharsach – darauf, „den neuen Rechtsextremismus von Hitler zu befreien“, und sind gerade deshalb so gefährlich. Haider ist ein Meister dieser Doppelstrategie, der es schafft, sowohl alte Nazis – „Ehemalige“ – als auch die vielen neuen Unzufriedenen bei der Stange zu halten. Einerseits verurteilt er den „Rassenwahn des NS-Staates“, andererseits nutzt er die „geheime rechtsradikale Zeichensprache“: Bei einem Neujahrsempfang verteilt Haider papierne Kornblumen (das Abzeichen der illegalen Nationalsozialisten) als Anstecknadeln. Die Abschlußkundgebung eines Wahlkampfes verlegt er nach Braunau (Hitlers Geburtsort). Und zur Geburtstagsfeier eines FPÖ-Kandidaten läßt er den „Badenweiler“ (Hitlers Lieblingsmarsch) spielen. „Gleichgesinnte“, so Scharsach, verstehen das als Symbole des Einvernehmens – Kritiker können ihm nichts nachweisen. Von der entschuldigenden These, die „Ehemaligen“ seien „nur“ der „braune Bodensatz“ der FPÖ, hält Scharsach nichts. Ihm zufolge ist die braune Gesinnung eine Karrierevoraussetzung unter Haider. Als herausragendes Beispiel gilt ihm der FPÖ-Grundsatz- und Bildungsreferent Andreas Mölzer. In unverwechselbarer Nazi-Diktion spricht – und schreibt– der Chefideologe der Partei von der „biologischen Potenz“ der Deutschen, dem „überalterten Volkskörper“ und dem „System von '45“.

Als besondere Rahmenbedingung für Haiders Erfolg beschreibt Scharsach die kollektive Verdrängung österreichischer Geschichte, die „Lebenslüge der zweiten Republik“. Nach 1945 sah sich das Land selbst als erstes Opfer des deutschen Faschismus. Das sollte sich erst Mitte der 80er Jahre ändern, als Kurt Waldheim für die Präsidentschaft kandidierte und seine von ihm verheimlichte Rolle im Zweiten Weltkrieg ruchbar wurde. Um Jahrzehnte verspätet setzte damals eine schmerzliche Debatte über Österreichs Mitverantwortung im Faschismus ein.

Die so entstandene Mischung aus verletztem Stolz und Trotz gegen die geballte internationale Kritik ebnete den Weg für Haider. Motto: Wenn die Ausländer alle gegen Österreich sind, dann können wir ja auch gegen die Ausländer sein. So habe – meint Scharsach – der „Waldheim-Komplex“ jede weitere Kampagne erübrigt, die Fremdenfeindlichkeit war bereits da. Seite auf Seite liefert das Buch belastende Fakten. Am Ende darf der FPÖ-Chef getrost als überführt gelten. Scharsachs Urteil hallt in den Kaffeehäusern nach: Haider ist Rechtsextremist. „Neonazi“ und „Faschist“ nennt er den ihn allein deshalb nicht, weil er damit vor Gericht „in Beweisnot“ geraten könnte.

Auf 236 Buchseiten liefert das Buch eine Fülle anklagender Daten und Geschichten gegen Haider. Doch bei der Frage nach politischen Konsequenzen gegenüber einer Partei, die immerhin 33 Abgeordnete im Nationalrat hat und bei Komunalwahlen regelmäßig über 20 Prozent der Stimmen kommt, ist Autor Scharsach hilflos. Sein knappes Schlußkapitel „Gibt es Rezepte gegen Haider?“ endet nach 25 Zeilen mit dem Rat: „Wer Österreich nach vorne bringt, läßt Haider hinter sich.“

Hans-Henning Scharsach: „Haiders Kampf“, Orac-Verlag, Wien 1992, 254 Seiten, 39,80 DM

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