: Hamburgs Grüne doch nicht an die Front
Mitgliederversammlung korrigiert ursprünglichen Beschluß, der eine deutsche militärische Intervention auf dem Balkan forderte/ Modifizierter Vorschlag hatte keine Chance ■ Aus Hamburg Sannah Koch
Und zurück auf Los. Die Reihen ziemlich fest geschlossen, vollzog der Hamburger Landesverband der Grünen/GAL am Wochenende die Kehrtwende zurück zu den politischen Grundfesten. Eine vergleichsweise gut besuchte Mitgliederversammlung beschloß am Samstag mehrheitlich, den Beschluß einer kümmerlich besuchten Versammlung zu revidieren: Am 11. Januar hatten rund 50 GALerInnen einen Antrag verabschiedet, der die Aufhebung der Waffenembargos gegen Bosnien- Herzegowina und eine militärische Intervention der UNO-Friedenstruppen vorsah.
Eine Entschließung, die für Wirbel sorgte. Nicht nur, daß Hamburg damit die Bundespartei im Schweinsgalopp rechts überholt hatte. En passant waren auch grüne Grundsätze (Gewaltfreiheit, Ablehnung von militärischen Konfliktlösungen, Rüstungsexporte in Kriegsregionen etc.) über Bord geworfen worden. Und ganz lässig, so empörten sich die KritikerInnen des Antrags, sei die Parteibasis in alter Strömungsmanier über den Tisch gezogen worden.
So war der Beschluß kaum veröffentlicht, da sammlten sich die GegnerInnen schon zum Gegenangriff. Reibungspunkte boten sich reichlich: denn nach dem Antrag sollte die Bundesregierung aufgefordert werden, mit UNO- Friedenstruppen die Lager und Gefängnisse zu schließen, die Belagerung der besetzten Dörfer zu beenden, humanitäre Korridore zu sichern und alle irregulären militärischen Gruppen und Polizisten in Bosnien-Herzegowina und den besetzten Gebieten Kraotiens zu entwaffnen.
Und um den totalen Tabu- Bruch perfekt zu machen, erklärte die Bürgerschaftsabgeordnete Conny Jürgens jüngst in einem Spiegel-Interview, daß die Deutschen aufgrund ihrer historischen Schuld geradezu eine Verpflichtung hätten, sich dort im Rahmen militärischer Einsätze für die Sicherung der Menschenrechte einzusetzen.
Der Eklat schien perfekt: Doch schon kurz nach der mißlichen Beschlußlage beschloß der Landesvorstand wegen der Proteste aus den Bezirken sowie aus Fraktion und Vorstand, die Notbremse zu ziehen und eine neue Diskussion anzusetzen.
Doch auf der Mitgliederversammlung am Wochenende, die nicht nur mit 140 Menschen vergleichsweise rekordverdächtig besetzt war, sondern auch unter den wachsamen Augen von drei Bundesvorstandsmitgliedern tagte, sollte nicht mehr alles so heiß gegessen wie gekocht werden. Die vier Bürgerschaftsabgeordneten, die den inkriminierten Antrag unterstützt hatten, erklärten diesen für „zurückgezogen“. Die Fraktionsvorsitzende Krista Sager begründete dies „mit den vielen unguten Gefühlen“, die er aufgewühlt habe. In der Tat war der Fraktions- und Parteifrieden erheblich gestört. Drei Abgeordnete drohten unterschwellig mit dem Ausstieg aus der Fraktion, die Geschäftsführer hatten eine „unvermeintliche Abspaltung“ angekündigt.
In dem modifizierten Antrag der InterventionsbefürworterInnen (darunter sechs der neun Bürgerschaftsabgeordneten) hieß es jetzt, daß zur Durchsetzung des Gewaltverbots diplomatische, finanzielle und wirtschaftliche Mittel Vorrang hätten, aber auch Zwangsmaßnahmen bis hin zur „kollektiven militärischen Sanktion“ nicht ausgeschlossen sein dürften. Auch die Gefangenenbefreiung und Beendigung der Belagerung blieben drin. Ebenso der Passus: „Es ist nicht gerechtfertigt, daß die Bundesrepublik innerhalb der UNO auf Dauer eine privilegierte Stellung zu Lasten aller anderer Staaten einnimmt.“ Von einer Beteiligung deutscher Soldaten in Exjugoslawien hatte man jedoch Abstand genommen.
Die Gemengelage klärte sich dann aber schnell: So verwunderte es schließlich nach fünfstündiger Debatte kaum jemanden, daß der Antrag mit 117 zu 34 Stimmen abgeschmettert wurde. Doch zum „Schlachtfest“ sollte die Versammlung nicht geraten: Der Antrag, die InterventionsbefürworterInnen aus Fraktion und Landesvorstand zum Rücktritt aufzufordern, wurde nicht befaßt.
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