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Sarajevo weiterhin im Hungerstreik

■ UN-Hilfslieferungen stauen sich am Flughafen/ Lastwagenkonvoi nach Ostbosnien unterwegs

Sarajevo (AFP/taz) – Rund 2.300 Tonnen Lebensmittel und Medikamente türmen sich in den Lagerhäusern Sarajevos, neu ankommende UNO-Lieferungen müssen auf dem Flugplatz gestapelt werden. Seit drei Tagen boykottieren die 380.000 BewohnerInnen der seit elf Monaten umkämpften bosnischen Hauptstadt die Verteilung der lebensnotwendigen Hilfsgüter. Ihre Begründung: „Im Osten verhungern die Menschen, warum also nicht auch wir.“ Allein in den letzten Tagen sollen in Ostbosnien 166 Menschen, darunter 41 Kinder, an Hunger gestorben sein.

Als die Verwaltung von Sarajevo am vergangenen Mittwoch ankündigte, daß die Stadt aus Protest gegen die serbische Blockade der UN-Hilfslieferungen nach Ostbosnien in „Hungerstreik“ treten werde, waren die Reaktionen der internationalen Öffentlichkeit von Verständnislosigkeit bestimmt. Ebenso wie der US-amerikanische Außenamtssprecher Richard Boucher kritisierten auch die Unterhändler von EG und UNO, Lord Owen und Cyrus Vance, den Beschluß: „Niemand sollte versuchen, Aufmerksamkeit zu erregen, indem er neue Probleme schafft.“

Inzwischen scheint die UNO jedoch ihre Bemühungen, die rund 200.000 Menschen in Ostbosnien wieder mit Hilfsgütern zu versorgen, verstärkt zu haben. Am frühen Sonntag morgen startete in Belgrad ein Hilfskonvoi, der 90 Tonnen Lebensmittel und Medikamente in die Stadt Cerska bringen soll. Am Vormittag erreichten die zehn Lastwagen Mali Zvornik an der bosnisch-serbischen Grenze. Von hier ab sollten sie von einer Eskorte der UN- Schutztruppen begleitet werden. Der Sonderbeauftragte des UN-Flüchtlingswerkes UNHCR, José-Maria Mendiluce, bat in einem Schreiben den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević, seinen Einfluß auf die bosnischen Serben geltend zu machen. In Pale, dem Hauptquartier der bosnischen Serben, wollte er mit Serbenführer Karadžić über die Erlaubnis für die Passage der Hilfskonvois verhandeln.

Weiter gehen die Kämpfe jedoch nicht nur in Bosnien, sondern auch in Kroatien. So griff serbische Artillerie Ziele im Hinterland von Zadar in Südkroatien an. Die Belgrader Nachrichtenagentur Tanjug meldete unter Berufung auf die militärische Führung der serbischen „Krajina-Republik“, die serbischen Streitkräfte hätten eine größere Offensive begonnen. Die Einnahme des strategisch wichtigen Dorfes Novigrad stehe unmittelbar bevor. Unterdessen hat die kroatische Regierung angeboten, ihre Truppen bis auf 10 km hinter die Waffenstillstandslinie zurückzuziehen. Kroatien sei bereit, über den Status der von serbischen Milizen kontrollierten Gebiete in Südkroatien zu verhandeln. Voraussetzung sei jedoch, daß die Armee Rest-Jugoslawiens sich ebenfalls von den Grenzen zu Kroatien zurückziehe.

Vor über 10.000 Teilnehmern einer von der nationalistisch-religiösen „Solidaritätsgruppe Bosnien-Herzegowina“ organisierten Kundgebung hat der türkische Staatspräsident Turgut Özal am Samstag die Türkei als künftigen Garant für den Frieden in der Balkanregion bezeichnet. Zugleich forderte Özal erneut ein Mitspracherecht bei der Lösung des Konfliktes um die umkämpfte Balkanrepublik. Die Teilnehmer der Kundgebung, für die der normalerweise für Demonstrationen verbotene Taksim-Platz in Istanbul freigegeben wurde, forderten die Entsendung der türkischen Armee nach Bosnien und beschuldigten die UNO, sich taub, stumm und blind zu stellen. Özal bricht heute zu einer Reise in die vier Balkanstaaten Bulgarien, Mazedonien, Albanien und Kroatien auf. O-Ton des Präsidenten: Die Serben würden „vom Süden und Norden her diplomatisch umzingelt“. Seite 11

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