: So also sieht sie aus, die richtige Liebe
■ Verdrängung ausgespart: „Inge, April und Mai“ von Wolfgang Kohlhaase
Es gibt zwei Arten von schlechten Dialogen im Kino. Die eine weiß darum, wie oft wir stottern, selbst wenn wir es in eleganten Formulierungen tun. Wenn wir verliebt sind zum Beispiel oder wenn wir uns trennen. Manchen Filmemachern gelingt es, dieses Laientheater auf die Leinwand zu bringen, Edgar Reitz etwa in „Die zweite Heimat“ oder Jacques Doillon in „Le jeune Werther“. Die Filme selbst sind es, denen eine Spur Unsicherheit anhaftet, Verlegenheit ob der eigenen Inszenierung, die sich doch immer etwas dem entzieht, was gezeigt werden soll.
Die andere Art ist stolz darauf. Sie kokettiert mit dem, was man pubertär nennt und macht eine Stilübung daraus. Wenn, in „Inge, April und Mai“, der Kalle die Inge fragt, ob sie mit ihm gehen will, dann tut Wolfgang Kohlhaase so, als ließe sich solch ein Moment authentisch verfilmen. Kein Zweifel ficht ihn an. So klingt die Frage nur wie ein Satz, den ein jugendlicher Schauspieler auswendig gelernt und in die Kamera sagt.
Erste Liebe in Deutschland, April 1945. Luftangriffe, der Einmarsch der roten Armee. Die Russen vergewaltigen Kalles Tante, Kalle faßt Inge unter den Rock und ergattert bei einer Ladenplünderung 100 Pakete Puddingpulver. Inges Vater will, daß die Tochter sich aufhängt, wegen der Russen. In der Schachtel mit den Zinnsoldaten hat Kalle Kondome versteckt. Manchmal betrachtet er sie: So also sieht sie aus, die richtige Liebe.
Es ist eine autobiographische Geschichte. Als Inge am Ende mit Äffchen Lehmann geht, sagt Kohlhaase aus dem Off: „Ich hätte lieber um sie getrauert, wenn es ihr gelungen wäre, sich aufzuhängen.“ Lakonisch wäre das nur, wenn Kohlhaase um die Grausamkeit dieses Wunsches wüßte. Aber er gefällt sich in dieser Pose.
Kopfsteinpflaster, schwere Mäntel, braune Baumwollstrumpfhosen. Zur Akkordeonmusik flackert die Glühbirne im Luftschutzkeller. In der Ferne fallen die Bomben. „Inge, April und Mai“ will die Standardbilder vom Kriegsende vermeiden, schließlich geht es ja um Kalles Pubertät. So spart er aus, was einzig interessant wäre: die Verdrängung, die Gewöhnung, das Banale. „Inge, April und Mai“ bleibt ein Bilderbuch vom Krieg, das wir schon hundertmal gesehen haben. Bloß die Seite mit den Trümmern fehlt. Noch so ein Film, in dem die Kleider nach DEFA-Kostümfundus riechen. Christiane Peitz
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