: Notwendig selbstverständlich
■ Bilder einer alten Welt: Jana Sevcikovás „Jakub“ im Forum
Eine Leben wie eine Legende: Jakub, der vor Jahren starb – wann genau, weiß niemand mehr zu sagen – lebt fort im Gedächtnis seiner einstigen Mitmenschen. Reminiszenzen an ein hartes Dasein auf der Scholle, das trotz aller Schwere lichter Momente nicht entbehrte. Jakub liebte dieses Leben, auch und gerade weil ihm nichts erspart blieb. Ein komischer Kauz war er gewesen, einer, der gern ein Gläschen trank, dabei sang und sich gelegentlich so sorglos aufführte, daß mancher denken mochte, der Jakub sei nicht richtig im Kopf. Was bleibt von so einem, den man im Suff ausnutzte, ohne Reue rausschmiß und dem die Zehen erfroren im Schnee? Welche Spuren hinterläßt das Schicksal eines Menschen, der ein Leben lang die Ackerfurchen zog, im runzligen Antlitz der Alten?
Jana Sevcikovás poetischer Dokumentarfilm, den sie ihrer Großmutter widmete, läßt eine scheinbar längst versunkene und vergessene Welt wieder aufleben. Die Geschichte Jakubs, der im Film niemals auftritt, steht als Metapher für ein fast vollständig verdrängtes kollektives Geschick, an das im Vorspann erinnert wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Ruthenen aus Rumänien in den verlassenen Dörfern der Sudetendeutschen in Böhmen angesiedelt. Einer von denen, die damals mit spärlichem Handgepäck anrückten, war Jakub Popovic. Im Lauf der Zeit wußte man sich einzurichten, und blieb doch in der neuen Heimat fremd, wurde die Schatten der Vergangenheit nicht los, die das entlegene Karpatenvölkchen nach willkürlichen Grenzziehungen in verfeindete Lager spaltete. Ein Trauma, das in der Furcht vor den vertriebenen Deutschen genauso nachwirkt wie in der Sorge vor Verschickung in die nachmalige Sowjetunion. Was Wunder, wenn das „wirkliche“ Leben dann von Erinnerungen durchwirkt wird und – wie im Film – die Bilder von den überkommenen Bräuchen aus dem Maramures ganz woandershin verpflanzt.
Bereits mit ihrem bemerkenswerten Debüt „Piemule“ (1983) ließ Jana Sevciková Anklänge an Dusan Hanák „Bilder einer alten Welt“ (1972) erkennen. Doch was vor zwei Jahrzehnten kraftvoll, karg und grafisch konzentriert wirkte, mutet heute, lyrisch überhöht, leicht mariniert und allzu malerisch in Effekten schwelgend an. Das mag an der gesteigerten Faszination der Existenz von Jakub liegen, der zeitlebens nicht ohne Stolz das Notwendige mit Selbstverständlichkeit tat. Eine Erfahrung, die der Moderne gewöhnlich gänzlich abgeht. Roland Rust
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