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Abenteuer „Porta Potti“

■ Ein Blick in die piefige Welt des Wintercampers

Berlin. Ist „dat Milljöh“ saisonabhängig? In Pankower Hinterhöfen und im Strandbad Wannsee sucht man es im Februar vergebens, hier erwacht das Leben erst beim Frühjahrsputz. Dennoch ist das Urberlinertum nicht vollständig hinter seine Kachelöfen abgetaucht. Drei Berliner Campingplätze beherbergen das ganze Jahr hindurch Gäste. Fast 5.000 sind Dauercamper aus Berlin, die einen Stellplatz für ihren Wohnwagen gemietet haben – und zum Teil auch im Winter dort hausen.

Auf dem Campingplatz Kladow ist das Pförtnerhaus verwaist, der Campingladen verriegelt. Hinter dem Waschhaus beginnt das Areal der Dauerparker. Hier befestigt ein betagtes Ehepaar die braungestreiften Stoffrollos des Vorzelts. Freundlich führen Heinz und Gerda ihren Wohnwagen vor. Auf sieben Quadratmetern drängen sich eine plüschige Sitzgruppe, ein Tisch, zwei schmale Betten, noch schmalere Spinde, ein Fernseher – und die Toilette Marke „Porta Potti“ im Mülleimerformat. Für die über siebzigjährigen Bewohner liegt gerade in der Enge das große Abenteuer. „Früher sind wir mit dem Wohnwagen nach Österreich und Italien gefahren“, erzählt Heinz. In den letzten zehn Jahren aber wurde der Wagen keinen Zentimeter mehr bewegt.

Als Dauercamper könnte man so billig wohnen wie nirgendwo sonst in Berlin: Ein Stellplatz kostet pro Jahr 650 Mark, erklärt Günther Demuth, Geschäftsführer des Berliner Landesverbandes des Deutschen Camping-Clubs. Um einen Stellplatz zu bekommen, muß man jedoch einen festen Wohnsitz nachweisen. Einmal pro Woche fährt die 56jährige Wintercamperin Traudel mit ihrem Mann in ihre Spandauer Dreizimmerwohnung. „Da packen wir ein paar Kleider zusammen, gießen die Blumen und kommen so schnell wie möglich hierher zurück“, sagt Traudel und entschuldigt sich hausfraulich für die Unordnung im Vorzelt: „Ich mache gerade Camping-Putz.“ Worin aber liegt der Reiz, im Winter aus einem Campingwagenfenster auf einen nur wenige Meter entfernten Campingwagen zu sehen und auf die große Fahrt im Sommer zu warten? „Liebe zur Natur“, erklärt Traudel. „Sobald mein Mann von der Arbeit kommt, gehen wir spazieren.“ Ihr Wohnwagen hat 30.000 Mark gekostet, fast 10.000 mehr als der von Gerda und Heinz. Trotzdem sieht das Interieur genauso aus: Sitzgruppe, Tisch, Betten, Spinde, Fernseher – alles steht in genau der gleichen Anordnung wie bei dem Rentnerehepaar. Seine Individualität findet der Wintercamper offenbar gerade in der Uniformität. Gespräche mit gleichgesinnten Nachbarn und Spaziergänge im Wald, geblümte Plüschsitzecken und Vorfreude auf den Sommer – eine merkwürdige Mischung aus piefiger Enge und großer Freiheit. Lennart Paul

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