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Wenn Stahl und Eisen bricht...

Nach drastischem Nachfragerückgang und Preisverfall steht Stahlindustrie vor einem Scherbenhaufen/ Anpassung an Weltmarkt verschlafen  ■ Von Erwin Single

Berlin (taz) – Der aufsehenerregende Kampf der Stahlarbeiter im Ruhrgebiet um ihre Hochöfen ruft die Bilder des Jahres 1987 in Erinnerung. Damals hatten die Revierkumpels mit ihren Aktionen nicht nur die Schließung des Rheinhausener Stahlwerks verhindert, sondern auch den Strukturwandel an Rhein und Ruhr vorangetrieben. Selbst Bundeskanzler Helmut Kohl nahm sich damals der Probleme an und lud zur Ruhrgebietskonferenz ein, in deren Folge eine ganze Latte von Initiativen zum Umbau in der Montanregion gefördert wurden.

Doch dann kam das Konjunkturhoch, das die ganzen Probleme schnell vergessen ließ. Die Arbeiter behielten ihre Arbeitsplätze, die Stahlkonzerne nicht nur an Rhein und Ruhr konnten wieder Gewinne einfahren.

Ein trügerischer Schein, denn schon 1991 sackte der Stahlverbrauch in der EG wieder um 10 Prozent ab. In Deutschland nahm er nur durch die Vereinigungskonjunktur noch einmal um zwei Prozent zu. Heute aber ist klar: Geändert hat sich seit 1987 so gut wie nichts – die neue Krise des Stahls ist im Kern die alte geblieben. „Da liegt er nun, der Scherbenhaufen“, konstatiert ratlos Ruprecht Vondran, Prädsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Nach Jahren leichter Besserung und zaghafter Schlankheitskuren quält sich die Branche mit ihren Erblasten: rückläufige Nachfrage, mehr Billigstahl aus Drittländern, teure Kapazitätsüberhänge und einen mehr als verzerrten Wettbewerb.

Im letzten Jahr sank die Stahlproduktion von knapp 39 Millionen Tonnen auf 36,9 Millionen, in diesem Jahr dürften es noch einmal zwei bis drei Millionen weniger sein. So gut wie kein deutsches Stahlunternehmen schreibt derzeit schwarze Zahlen. Sie würden derzeit im Monat rund 300 Millionen Mark verlieren, so Ruprecht Vondran. Massenentlassungen von bis zu 30.000 Stahlkochern sind also vorprogrammiert.

Daß es mehr als genug Stahl weltweit gibt, dürfte den Verantwortlichen, die Gewerkschaften eingeschlossen, nicht verborgen geblieben sein. Seit den 70er Jahren nimmt der Stahlverbrauch in den Industrienationen nicht nur im Verhältnis zur Industrieproduktion, sondern auch insgesamt ab. Der Werkstoff wird aber als Massengut überall in der Welt in gleicher Qualität hergestellt, die gigantischen Überkapazitäten haben nicht nur zu einer massiven Preiserosion geführt, sondern auch die Produzenten unter Druck gebracht: Wer nicht mit den Preisen runtergeht und entsprechend die Kosten anpaßt, ist aus dem Rennen.

Selbst die lange Zeit durch protektionistische Einfuhrhürden abgeschottete Europäische Gemeinschaft blieb von diesem Prozeß nicht verschont. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, schrieb der EG-Stahlausschuß, dem Stahlkonzerne, Vertreter des Stahlhandels, der weiterverarbeitenden Industrie und der Gewerkschaften angehören, im Herbst an die EG- Kommission.

Das Ergebnis der Studie: Es sei ein „weiterer struktureller Anpassungsprozeß notwendig“. Das zeigen auch die Zahlen: Die Überkapazitäten in Westeuropa werden bei einem Aussstoß von rund 170 Millionen Tonnen allein auf jährlich rund 30 Millionen geschätzt.

Aber das EG-Programm eines geordneten Rückzugs blieb auf der Strecke, weil sich die Großunternehmen und erst recht die um ihre nationalen Interessen bangenden Mitgliedsländer auf eine Liberalisierung des Stahlmarkts nie recht einigen konnten.

Doch auch die EG mußte die Grenzen für Billigimporte weiter öffnen – was zur Folge hatte, daß sich allein Einfuhren aus Osteuropa, wo mit Dumpinglöhnen und auf Kosten der Umwelt massenhaft Stahl hergestellt und auf den Weltmarkt geworfen wird, im letzten Jahr verdoppelten. Kassierten die deutschen Stahlbarone im Rekordjahr 1989 im Schnitt noch 1.000 Mark für die Tonne, sind es heute gerade noch 600 Mark.

Während die Kumpels im Revier nach Unterstützung von der Regierung rufen, schieben die Konzerne die Schuld an der Misere nach Brüssel ab. Sie drängen auf ein neues Lieferquoten-Kartell, das Produktions- und Liefermengen festlegt. Doch auch die Ausrufung des Stahlnotstands kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Stahlkonzerne die fatale Lage selbst mit verursacht haben.

Bei dem von der EG verordneten Kapazitätsabbau haben sie auf halber Strecke halt gemacht. Die Rohstahlproduktion in der Bundesrepublik Deutschland ging seit 1974 lediglich um 10,1 Prozent zurück – weit weniger als in den Nachbarstaaten Frankreich (minus 16,7 Prozent), Belgien (22,5) oder Großbritannien (20,1). Aber wie formulierte es doch der Präsident der deutschen Stahlhersteller so schön: Der Wettbewerb bei Stahl sei mit dem bei Waschmitteln eben nicht zu vergleichen.

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