: Niemand will schlauer werden
■ Bildungsurlaub wird von ArbeiterInnen kaum beantragt / 91er Gesetz nicht zur Kenntnis genommen
Bildungsurlaub ist bei den Berliner ArbeitnehmerInnen und Angestellten keineswegs beliebter geworden. Und das obwohl es seit 1991 ein Bildungsurlaubsgesetz gibt, das allen ArbeitnehmerInnen, die älter als 25 Jahre sind, fünf Tage Fortbildungsurlaub garantiert. Nur zwei Prozent aller ArbeiterInnen beantragten 1992 den ihnen zustehenden Urlaub, um Bildungsveranstaltungen von Kreisvolkshochschulen oder freien Bildungsträgern zu besuchen.
Die Mehrzahl der Arbeitnehmer, vermutet der Vorsitzende des Bildungsträgers „Arbeit und Leben“, Wolfgang Hansmeier, habe das neue Gesetz damals schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Es sei in der Vereinigungsdiskussion untergegangen. Hansmeier meint, die Arbeitgeber übten oft Druck aus, um ihre MitarbeiterInnen von den zehn Fortbildungstagen möglichst fernzuhalten. Außerdem nähmen viele Kolleginnen und Kollegen die berufliche Fortbildung in vorauseilendem Gehorsam nicht in Anspruch.
In den neuen Bundesländern ist der Druck der Arbeitgeber offenbar noch größer, so wenig Mitarbeiter wie möglich für Fortbildungsveranstaltungen freizugeben. Angesichts der schlechten Wirtschaftslage, so argumentieren viele Unternehmer, seien Freistellungen für Seminare nicht möglich. Der entsprechende Gesetzentwurf der Ampelkoalition in Brandenburg sieht sogar vor, Urlaub zum Besuch von Weiterbildungskursen erst ab 1996 zu genehmigen. Der Fachsekretär für Bildung des DGB-Landesbezirks Berlin-Brandenburg, Rainer Heinrich, nennt dies eine unternehmerfreundliche Regelung. Er kritisiert außerdem, daß nach diesem Gesetzentwurf Arbeitslose und Beamte keinen Anspruch auf berufliche Fortbildung haben.
Horst Jäckel, Vorstandsmitglied des DGB in Berlin-Brandenburg, fordert neben dem Gesetz für den Bildungsurlaub eines für Weiterbildung. Es soll die politische Bildung fördern, die oft kleine Trägervereine organisieren. Ohne staatliche Finanzierungshilfen seien die nicht arbeitsfähig. So könnten nur reiche Träger wie das Bildungswerk der Berliner Wirtschaft Fortbildungsseminare anbieten. In den neuen Bundesländern hält Jäckel derzeit die politische Bildung aber für genauso wichtig wie die berufliche Fortbildung: „Wenn wir den politischen Rechtsextremismus effektiv bekämpfen wollen, müssen wir gerade in der beruflichen Fortbildung offensiv Aufklärungsarbeit leisten.“ Rüdiger Soldt
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