: Die Balkanreise des Turgut Özal
Der türkische Staatschef verspricht dem kleinen Nachbarstaat Mazedonien wirtschaftliche Hilfe/ Bulgarien gegen Özals Forderungen nach militärischer Intervention in Bosnien ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
In dem kleinen Mazedonien, das nur zwei Millionen Einwohner zählt, fand der türkische Staatspräsident Turgut Özal endlich Gesprächspartner, die ohne Widerspruch die türkische Balkanpolitik gutheißen. „Zu Bosnien-Herzegowina gibt es keinen Unterschied in der Haltung beider Länder“, frohlockte Turgut Özal am Donnerstag auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem mazedonischen Präsidenten Kiro Gligorov. Im Rahmen seiner gegenwärtigen Balkan- Reise besucht der türkische Präsident nach Bulgarien und Mazedonien auch Albanien und Kroatien.
Mit der Forderung nach einer – von den Vereinten Nationen legitimierten – militärischen Intervention in Bosnien hat sich die Türkei seit Monaten nicht durchsetzen können. Bereits Anfang Januar war Özal in Washington bei dem US-Präsidenten Bill Clinton vorstellig geworden, um die türkische Balkan-Politik darzulegen. Er übte Kritik am Vance-Owen-Friedensplan und forderte eine „Militärintervention gegen den serbischen Agressor“. Doch fand dies, ebenso wie die Forderung nach Aufhebung des Waffenembargos gegen die bosnischen Regierungskräfte, in Washington bislang kein Verständnis.
Offene Arme
In Mazedonien, das bislang aufgrund griechischen Druckes nur von zehn Staaten anerkannt ist – die Türkei war der erste – wurde Özal mit offenen Armen empfangen. Der türkische Präsident, der mit einer hundertköpfigen Delegation, darunter viele türkische Unternehmer, anreiste, versprach Mazedonien ökonomische Hilfe. Der kleine Staat ist einem Handelsembargo von seiten Griechenlands ausgesetzt.
Eine Autobahn von Istanbul über Sofia, Mazedoniens Hauptstadt Skopje und Tirana soll unter Umgehung Griechenlands die Adria erreichen. Ein Telekommunikationsprojekt — die Verlegung eines Fiberglasnetzes über die gleiche Strecke — ist ebenfalls im Gespräch. Die Zusage Özals, daß die Türkei Waffen an die nur 14.000 Mann starke mazedonische Armee liefern und mazedonische Offiziere ausbilden wird, hat die Serben und die Griechen auf den Plan gebracht. Die Mazedonier ihrerseits baten Özal, daß er seinen Einfluß geltend machen soll, um mit Hilfe US-amerikanischer Awacs Aufklärungsflugzeuge militärische Bewegungen Serbiens feststellen zu lassen.
Mit einer Achse Sofia, Tirana, Skopje glaubt Özal in der Balkan- Politik mitmischen zu können. Zu allen drei Ländern unterhält die Türkei enge, freundschaftliche Beziehungen. Mit Albanien, wo Özal gestern am gestrigen mit dem albanischen Staatspräsident zusammentraf, hat die Türkei bereits ein Militärabkommen. Ein Gespräch mit Kosovo-Albaniern, die sich am liebsten von Serbien lossagen und sich mit Albanien vereinen würden, steht auch auf dem Programm. Allein in Bulgarien wurden die türkischen Ambitionen gebremst. Staatspräsident Jeleu Jelev stellte klar, daß unter keinen Umständen Balkan-Staaten in Bosnien intervenieren dürfen. Gerüchte über ein Überflugrecht türkischer Flugzeuge, um in Bosnien zu intervenieren, wurden dementiert. Özal stellte klar, daß die Türkei sich allein im Rahmen einer internationalen Truppe an einer Militärintervention in Bosnien beteiligen könnte. Doch auch dies ist den Bulgaren nicht geheuer.
Insgesamt jedoch hat sich das bulgarisch-türkische Verhältnis nach dem Sturz des Kommunisten Tschiwkow — in Bulgarien leben Hunderttausende Türken — entspannt. Ausdrücklich wies der bulgarische Präsident darauf hin, daß es sich bei der Türkei um eine wichtige „Regionalmacht“ handle. Vergangenes Jahr schlossen die Türkei und Bulgarien einen Freundschaftsvertrag ab, Truppenverbände an der gemeinsamen Grenze wurden abgezogen. Auch Bulgarien hat Mazedonien anerkannt und erst vergangene Woche einen Freundschaftsvertrag mit Albanien abgeschlossen.
Özal unterstreicht mit seiner Reise nicht nur, daß die Türkei sich als Schutzmacht für die Moslems auf dem Balkan begreift. Bulgarien, Mazedonien, Albanien und Bosnien waren Jahrhunderte osmanische Provinzen. Unter den osmanischen Großwesiren waren insgesamt 31 Albaner und 12 Bosniaken. Während im Kaukasus und Zentralasien die Türkei die kulturelle Einheit der Turkvölker hervorkehrt, wirkt Özal auf dem Balkan mit einem Neo-Osmanismus. Der Neo-Osmanismus trat auch hervor, als Özal vergangenen Samstag als Alleinredner vor einer Großkundgebung in Istanbul „Solidarität mit Bosnien“ auftrat. Die Veranstalter, eine unbekannte „Solidaritästsgruppe für Bosnien, Sandjak und den Kosovo“, hatten die Militärkapellen der Osmanen als Begleitmusik zur Rede des Staatspräsidenten auffahren lassen. Die Kundgebung, zu der Hunderttausende erwartet wurden, war für Özal ein großer Reinfall. Gerade zehntausend Menschen – fast ausschließlich türkische Faschisten und islamische Fundamentalisten – waren zur Kundgebung gekommen. „Armee nach Bosnien“, skandierten die Kundgebungsteilnehmer. Wohlweislich hatten die Regierungsparteien, denen die forsche Politik Özals ein Dorn im Auge ist und die zu Recht eine Allein-Show befürchteten, die Kundgebung faktisch boykottiert. Auch bei seiner jetzigen Balkan- Reise hat die Regierung Özal allein gelassen. Kein maßgeblicher Beamter des Außenministeriums hat Özal begleitet. Eine Wiederauflage osmanischer Großmachtpolitik ist dem türkischen Außenministerium noch nicht geheuer.
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