: Vorsichtige Kulturarbeit...
...trotz Repression versuchte das Goetheinstitut in Teheran. Ein Interview mit seinem letzten Leiter ■ Von Anja Seeliger
Das Goetheinstitut in Teheran wurde am 15.Februar 1989 offiziell geschlossen, nachdem Rudi Carrell in einer „Tagesshow“ Khomeini karikiert hatte. Stephan Nobbe stand ihm zuletzt vor.
taz: Wie sah das Programm des Goethinstituts in Teheran aus?
Nobbe: Die Programmgestaltung war außerordentlich schwierig. Die meisten Programme, die wir hätten durchführen können, wären schlicht und einfach nicht genehmigt worden. Filmprogramme waren zum Beispiel nahezu ausgeschlossen, weil die Filmzensur außerordentlich strenge Auflagen machte. Die Interpretation dessen, was zum Beispiel als Pornographie empfunden wurde, ging so weit, daß eine Frau mit unbedeckten Armen oder mit geschminktem Gesicht und ohne Kopftuch bereits als das Volksempfinden verletzend hätte deklariert werden können.
Auch Musik ist so ein Problem. Es war möglich, klassisch europäische oder iranische Musik aufzuführen. Aber mit einem gemischten Orchester wäre das schon wieder schwierig gewesen. Eine Frau auf der Bühne singen zu lassen, wäre nahezu ausgeschlossen.
Mußte das Programm denn genehmigt werden?
Ja natürlich. Alle Veranstaltungen mußten gemeldet werden, und wir mußten eine formale Genehmigung beantragen, dieses Programm durchzuführen. Der Iran ist nicht einzig in dieser Hinsicht. Aber es gibt immer noch verschiedene Möglichkeiten, Veranstaltungsformen und Inhalte zu finden, die unseren Ansprüchen genügen und die noch genehmigungsfähig sind.
Zum Beispiel?
Ich habe eine abstrakte iranische Malerin ausgestellt, die aus Amerika zurückgekehrt war, nachdem sich die Revolution etwas beruhigt hatte. Das wurde dann auch genehmigt und sogar ganz gerne gesehen, als, naja, Beweis der Liberalität der neuen Revolutionsregierung. Aber es gab zahlreiche Besucher, die die Ausstellung unislamisch fanden, wenn nicht gar antiislamisch.
Hatten Sie den Eindruck, daß die Besucher kontrolliert wurden? Daß nicht jeder zu ihren Veranstaltungen kommen konnte?
Natürlich nicht. Das konnten sie nicht machen. Wir waren ein offenes Haus, und man konnte zwar Garden vor dem Haus aufstellen, aber man wollte und hat den freien Zugang zum Institut nicht verhindert.
Können Sie sich vorstellen, daß man den Iran durch kulturelle Beziehungen beeinflussen kann?
Es ist nahezu ausgeschlossen, die Führungsschicht und die Leute, die an der Macht sind, in irgendeiner Weise zu beeinflussen oder zu ändern. Die haben ihre Interessen, die sie verfolgen, und notfalls werden sie dazu auch die Kulturarbeit instrumentalisieren. Man muß eben vorsichtige und tastende Kulturarbeit machen. Deswegen bin ich gegen Kulturwochen. Das ist Schaufensterarbeit und wird von beiden Seiten benutzt, um irgend etwas zu demonstrieren, was es letzten Endes nicht gibt.
Geht es dabei nicht nur ums Geschäft? Frances d'Souza meint, der Iran habe ein manipulatives Verhältnis zur Kultur.
Das ist richtig. Das hat der Iran auf jeden Fall, doch habe ich andererseits ein dialektisches Verhältnis zu den Entwicklungsmöglichkeiten. Ich glaube in der Tat, daß auch die Präsenz von westdeutschen Firmen, wenn sie offen und selbstbewußt genug auftreten, bestimmte Entwicklungen durchaus fördern und stützen kann.
Würden Sie ihre Kommunikationsmittel wie Faxe oder Kopierer Bürgerrechtsgruppen zur Verfügung stellen, beispielsweise zur Verbreitung von Demonstrationsaufrufen?
Das ist naiv, und ich hielte es für einen Fehler. Nicht inhaltlich. Aber wir sind so leicht überprüfbar, das Risiko wäre zu groß. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, sozusagen die 5. Kolonne innerhalb eines Landes zu bilden. Diesen Vorwurf gab's mal in einem anderen arabischen Land, in Tunis. Also als Arbeitsform hat sich das nicht bewährt. Wir haben sehr viel feinere und unangreifbare Möglichkeiten, wichtige Informationen zu geben, Informationen über Demokratie und Menschenrechte. Selbst Sprachunterricht, der immer möglich war, ist ja von den Inhalten nicht zu trennen. Man kann nicht Deutsch lernen, ohne deutsche Texte zu lesen, und eine sorgfältige Auswahl dieser Texte bringt wahrscheinlich mehr Bewußtseinsbildung als ein Konzert der Berliner Philharmoniker.
Werden Texte für den Deutschunterricht nicht überprüft?
Das war eben das witzige. Wir hatten erhebliche Probleme im Sprachunterricht und dauernd die Revolutionsgarden im Hause. Die achteten aber vor allem auf die Geschlechtertrennung. Und ob der Sittenkodex eingehalten wurde. Ich mußte langwierige Verhandlungen mit dem zuständigen Mullah und den Zensurbehörden führen. Es ging um die Benutzung eines Textbuchs, das nach fundamentalistischer Anschauung fragwürdig war und als Pornographie bezeichnet wurde. Da waren halt Bilder drin von Badeszenen mit gemischter Bevölkerung am Chiemsee und jungen Frauen in deutscher Alltagskleidung. All das wurde als schwerwiegender Verstoß gegen islamische Grundwerte bezeichnet. Wir haben eine Möglichkeit gefunden, dieses Problem zu bereinigen, es gab aber niemals eine Textkritik. Die begann erst in den letzten Wochen unseres Aufenthalts im Iran. Texte waren eben nicht Bilder. Es gibt eine gewisse Art von formalistischem Denken. Texte waren nicht verboten. Nur Bilder wurden sehr streng beobachtet. Und wir konnten dann die Texte verwenden, die wir verwenden wollten.
Hätten Sie in den Kursen über Rushdie diskutieren können?
Wir hätten bestimmt eine Möglichkeit gefunden, Rushdie zu diskutieren, aber ob es was gebracht hätte, das ist die Frage.
Wieso glauben Sie, daß eine solche Diskussion überhaupt möglich gewesen wäre?
Nun ja, drüber sprechen kann man in jedem Fall, nur wäre es bestenfalls zum Austausch von Argumenten gekommen. Eine freie Meinungsäußerung wäre für einen Ausländer natürlich möglich gewesen, der riskiert sehr viel weniger. Für einen Iraner wäre es in der Klasse ein großes Risiko gewesen, weil die Klassen immer sehr unterschiedlich besetzt waren. Es waren sehr fundamentalistische, sehr strenggläubige, aber auch was wir als Bürgerkinder bezeichnen würden in den Klassen. Das war spürbar, und es war deutlich, wo die Trennungslinie bei den Kursteilnehmern verlief. Es wäre bestimmt besser gewesen, über andere Themen zu reden. Wie Wahlen in Deutschland zum Beispiel. Den naiv-direkten Transfer, den hätten wir nicht unbedingt leisten können. In dem Moment, wo man etwas explizit machen möchte, wo wir offen darüber geredet hätten, wäre es kontraproduktiv gewesen. Man kann nicht Diskussionsformen wie in Mitteleuropa in einem Lande wählen, das derartig starkem Druck ausgesetzt ist.
Glauben Sie, daß unter solchen Voraussetzungen kulturelle Beziehungen einen Sinn haben?
Ich bin sehr stark dafür. Man muß es sehr vorsichtig oder, sagen wir, sehr klug handhaben. Man darf nicht angreifbar werden, damit das Gesamtziel nicht in Gefahr gerät. Aber ich wäre sehr dafür unter bestimmten Voraussetzungen – die sehr deutlich formuliert sein müssen. Ich bin nicht für Schaufensterveranstaltungen, wo die andere Seite im Vorfeld der Diskussion versucht, die Inhalte zu beeinflussen.
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