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Psycho-Hartmuts Latex-Show

Die wahren Psychologen sitzen in Festsälen abgelegener Dörfer: Meister der Verkaufskunst, die selbst ausgebuffte Profi-Kaffeefahrer ausnehmen können – und doch verlieren  ■ Aus Pretschen Michaela Schießl

Kein Wort haßt Hartmut Stuckmann mehr als das: Storno. Storno bedeutet, daß er sich ganz umsonst abgekämpft hat, sein Hirn gemartert und den Mund fusselig geredet, in einem schlecht beheizten, verrauchten Raum am Ende der Welt. Storno heißt, daß er als Verkäufer versagt hat. Doch Stuckmann ist nicht nur Verkäufer. Er ist ein „ehrgeiziger Hund“. Vor allem aber ist er Experte für Latexmatratzen mit integrierten Magnetstreifen in polarer Nord-Süd- Richtung.

Noch weiß niemand im Saal, was der schlanke, große Mann mit dem schneeweißen Hemd heute verscheppern will. Hartmut hingegen weiß schon nach der ersten Frage, daß er es schwer haben wird. 77 der 83 Zuhörer sind erfahrene Kaffeefahrtler. „Das ist aber schön“, heuchelt Hartmut und hängt sich das Mikrophon um den Hals, „dann wissen Sie ja, was Sie erwartet.“

Was ihn erwartet, steht ebenfalls fest: ein harter Arbeitstag. Er wird drohen und schmeicheln, loben und einpeitschen, provozieren und umgarnen. Nett wird er sein und ein bißchen streng, wenn diese Gruppe abgebrühter Verkaufsausflügler versucht, sich dösend seiner Überredungskunst zu entziehen. Sein Umsatzminimum für heute vormittag: 8.300 Mark. Nur 19,90 Mark zahlt jeder Kunde für die Reise, die realen Kosten liegen jedoch bei 55 Mark. Schafft er es nicht, durchschnittlich 100 Mark pro Person loszuschlagen, bleibt ihm nur ein wundes, trockenes Maul. Das weiß der Subunternehmer Hartmut. Und das weiß sein Publikum.

Einer davon ist der Mittfünfziger Klaus H. aus Berlin. Er und seine Frau Hiltrud sind Profis in Sachen Kaffeefahrten. Manchmal kaufen sie auch eine Kleinigkeit. Heute jedoch wollen sie nur günstig auf den Polenmarkt nach Slubice. Das nämlich und die kostenlosen Geschenke – Besteck, Schnaps und Bettwäsche – sind die Köder. „In Polen sind Sie mit Ihrer D-Mark König“, lockt die Wurfsendung. Zuvor jedoch will Hartmut die Durchlauchts aus Neukölln kräftig zur Ader lassen.

Klaus ist für das Duell gewappnet. Er kennt die hohe Verkaufskunst der „Schwafler“ und seine Schwäche, darauf hereinzufallen. Doch das beunruhigt ihn nicht. Denn Klaus kennt außerdem die Telefonnummer der Verbraucherzentrale und Stiftung Warentest.

Ein Horror für Hartmut, der sein Betriebswirtschaftsstudium schmiß, um Verkaufsschauspieler zu werden. Ihm bleibt nur eine Chance: er muß die Kunden aus dem Berliner Arbeiterviertel in Schlußverkaufsstimmung versetzten, sie gierig machen auf luftgepolsterte Matratzen, ihnen die Erkenntnis ins Hirn implantieren, daß es keinen Schlaf gibt jenseits der Magnetbänder. Die Dröhnung muß so stark sein, daß sie die Rücktrittsfrist überdauert – sieben Tage voll auf Latex.

Hartmuts ausgeklügelte Choreographie beginnt. „Ich freue mich, so nette Menschen zu sehen“, sagt er. „Gestern nämlich waren echte Schweine da. Morgens schon besoffen, haben die rumgepöbelt und sich zu guter Letzt eingepinkelt. Niveaulose Besuffskis aus'm dritten Hinterhof, meine DamundHerrn.“ Hartmut fuchtelt aggressiv mit den Armen. Streng kann er sein, richtig unangenehm. Zum Fürchten. Aber irgendwo hat er ja recht. Anstand ist nötig, und Disziplin. Auch Hartmut gegenüber. Die Fahrt ist so billig, da kann man ihm zum Dank schon mal ganz unverbindlich zuhören. „Abzocker, unfair und skrupellos, gibt es überall“, schimpft der 32jährige und schaut argwöhnisch in die Runde. „Die nehmen nur und geben nichts, wie Asylanten. Aber für uns rechnet sich das nur, wenn wir auch verdienen.“

Das leuchtet ein. Keiner verläßt den klammen Festsaal der Gaststätte Döring. Wohin auch? Im sorgfältig ausgewählten 350-Seelen-Dorf Pretschen im Spreewald ist die VEB Tierzucht mit Deutschlandfahne im Stallfenster die einzige Attraktion. Da lieber Hartmuts Mitmachshow: „Gibt es einen hier im Saal, der sich kerngesund fühlt?“ Keiner der Gäste zwischen 50 und 70 meldet sich. Das hat Hartmut geahnt. Er lächelt zum Dahinschmelzen und macht sich auf in die Schlafzimmer seiner Kunden, das Übel zu erkunden. Da sieht er Matratzen – und muß sich furchtbar ekeln. Das Möbel, auf dem der Mensch ein Drittel seines Lebens verpennt, ist ein Bakterienpfuhl! Uralt, voller Schweiß und Scheiß, Milben, Schuppen, Scheußlichkeiten.

Die meisten im Raum sind peinlich berührt. Auch Klaus rechnet heimlich die gemeinsamen Jahre mit seiner Matratze nach. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Wie soll die Haut da atmen können? „Denken Sie an Ramstein, wo Menschen starben an verbrannter Haut! Oder an die verklebten Kormorane nach Ölkatastrophen!“

Es kommt noch schlimmer. Das Suddelteil ist durchgelegen. Eine Hängematte für Kreuzschmerzen. Klaus krümmt sich. Hartmut sieht den Schmerz. Denn „Augen sind der Spiegel der Seele“. Wer pennt, wird von Hartmut unnachgiebig geoutet; wer gehen will, angeprangert. „Immer fair bleiben und anständig, ich bin es auch“, appelliert Hartmut. Er spielt mit offenen Karten. Er will keinen Händedruck, er will Belohnung für gute Arbeit. Als Beweis seiner Redlichkeit gibt Hartmut Garantie: Dreißig Jahre hält seine Matratze aus Naturkautschuk, abwaschbar, luftgepolstert, wollbesetzt. Doch nicht genug. „Was ist die häufigste Todesursache?“ schmettert Hartmut in die Zigarettenrauchschwaden? Die Antwort kommt im Chor: „Heerzinnnfaaarkt.“

Klaus drückt seine Zigarette aus und denkt an seine Füße, die längst nicht mehr so warm werden, wie sie sollen. Weil das Blut nicht richtig zirkuliert. Also muß man ihm dabei helfen – durch Kräfte der Natur, Magnetkräfte. Hartmut wedelt mit einer Fachzeitschrift. Seine sechs Magnetstreifen, in die Matratze eingearbeitet, bringen die elektrisch geladenen Blutzellen in Bewegung. „Testen Sie selbst, wie es kribbelt an der Schulter!“ Wie ein Zirkusdirektor reißt Hartmut den Vorhang auf. Dort oben auf der Bühne, auf einer Art Altar, liegt einsam das Latex-Wunder.

Kurz darauf liegt Klaus im Mittelpunkt – als Matratzentester. Der Kandidat konzentriert sich ganz aufs Fühlen. Und tatsächlich: Ist es nicht Luxus, nach eineinhalb Stunden Holzstuhl? Und kriecht da nicht ein Kribbeln die Schulter längs? Klaus bekommt mächtig Applaus für seine Sensibilität. Doch nun wird es heikel. Der Preis. Hartmut wird wieder streng. „Sagen Sie jetzt nicht, Sie hätten das schon. Oder Sie können sich das nicht leisten! Und wenn morgen der Fernseher kaputtgeht?“ Besonderes Angebot vom Chef, letzte Chance, Sonderkonditionen, Ausverkauf, ohne Zwischenhändler, Spezialanfertigungen, Decke extra, zusätzlich ein Kombi-Super- Heißluft-Turbo-Grill für sage und schreibe, meine Damen und Herren, nicht 1.300, nicht 1.200, nicht 1.100, sondern unter, ja was?, unter 1.000 Mark. „Jawoll“, schreit Hartmut, „Applaus für diese ehrliche Antwort!“

Seine Stimme überschlägt sich beim großen Finale. Nach zwei Stunden Palaver macht Hartmut plötzlich Tempo. Letzte Chance, Glückes Schmied. Eisen schmieden, solange sie heiß sind. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. „War das eine ehrliche Beratung, fair und anständig?“ Ja, jubelt das Publikum, und Hartmut streckt die Arme aus wie der sterbende Schwan in der Schlußszene. Es ist, wie er versprochen hat: Hier geht keiner dümmer raus, als er reingekommen ist. Latex bedeutet Gesundheit. Jetzt verteilt Hartmuts Lakai Detlef Einkaufscoupons, zögerlich, von Hartmut immer wieder zurückgehalten. Die Gier wächst. Nur ganz wenige Coupons sind zu haben, eine limitierte Auflage! Endlich fegt Detlef los.

Hände wollen gezügelt werden. Klaus greift zu. Er will Latex, er braucht Latex. Hiltrud auch. Und Angelika. Insgesamt entscheiden sich neun Menschen für das neue Liegeglück. Im Stehen unterschreiben sie Formulare. Hartmut ist zufrieden, er war brillant. Und ist völlig fertig. Da hilft nur Yoga. Kein Alkohol, keine Zigaretten.

Klaus hingegen deckt sich in Polen mit Rauchwaren ein. Er ist in Hochstimmung ob des Matratzenkaufs. Komisch nur, daß er keinen Vertragsdurchschlag hat. Keiner hat einen. So weiß niemand, was er unterschrieben hat. Wenn er wirklich stornieren wollte, wüßte Klaus nicht, bei wem. „Aber ich will die Matratze ja.“ Doch das Mißtrauen ist erwacht. Sollte Hartmut etwa doch nicht so anständig sein? Und warum kommen die zum Abmessen, statt einfach anzurufen? Egal. Die Matratze ist gut. Aber ist Hartmut ehrlich? „Wie der schon gefuchtelt hat mit den Händen, so überzogen“, findet Hiltrud. „Und der Mund! Aber schnacken konnte er.“

Eine Nacht später ist Klaus vom Latex-Trip runter. Und böse mit Hartmut wegen des nicht vorhandenen Durchschlags. Das ist nicht fair, nicht anständig, nicht ehrlich. Und nicht zulässig, sagt die Verbraucherzentrale. So wartet Klaus am Dienstag auf die Männer der Firma Novital, die abmessen wollen. Rein zufällig haben sie die bestellte Matratze bereits dabei, und die Rechnung. Auch das war nicht abgemacht. Klaus ist sauer, genauso wie Hiltrud und Angelika. Und wie sie belegt er Hartmut, das Verkaufsgenie, mit der Höchststrafe. Klaus storniert.

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