: Lehrter Bahnhof geht in den Untergrund
■ Mit den Konzepten für den zukünftigen Zentralbahnhof wird ein weiterer Baustein des Regierungsviertels vorgestellt
Wird Berlin im Bereich des Lehrter Bahnhofs ein neuer Zentralbahnhof verordnet, der eingebunden ist in die städtische Struktur und die geplanten Bauten des neuen Parlaments- und Regierungsviertels? Oder besetzt ein Bahnhofssolitär mit gigantischen über- und unterirdischen Baumassen, weiten Gleisführungen und mächtigen Schluck- und Spuckeinrichtungen für Tunnelein- und -ausfahrten die idyllische Stadtbrache am Humboldthafen?
Die „Projektstudie für den Lehrter Bahnhof“, die heute von der Senatsbauverwaltung der Öffentlichkeit vorgestellt wird, kann sich entscheiden zwischen drei „Bahnhofsvarianten“ des Hamburger Büros von Gerkan, Marg und Partner sowie zwei Vorschlägen von Josef Paul Kleihues (Berlin). Geprüft wurde, welcher Entwurf sich räumlich und maßvoll mit dem städtebaulichen Konzept für das Regierungsviertel nördlich des Spreebogens verträgt. Schließlich kommt es darauf an, welches Modell die städtischen und sozialen Strukturen zwischen den Bezirken Moabit und Mitte und die stadträumliche Physiognomie – der Humboldthafen, die S-Bahn- Trasse und die Straßenführungen – respektiert und nicht zerstört.
Die Entwürfe der Gruppe von Gerkan, Marg und Partner sehen einerseits einen nordsüdlich ausgerichteten Glaskubus vor (40 Meter hoch, 20 Meter tief). In Ost-West- Richtung wird er von zwei hohen Dienstleistungsriegeln und langen Bahnsteighallen gerahmt. Andererseits entwerfen die Architekten ein Konzept aus sieben quadratischen Blöcken für Bahnhofshallen, Geschäfte, Hotels, Kinos und Büros, die den jetzigen Lehrter Bahnhof unter einem siebenteiligen Baukastenprinzip vergraben. Dieses „multifunktionale“ Konzept erwarb sich Sympathien in der Jury, weil es sich im Maßstab der städtebaulichen Idee der Pläne Axel Schultes angleicht.
Die beiden Varianten von Kleihues definieren den Ort als traditionellen Bahnhofsstandort. Ein mächtiger quadratischer Kubus umschließt dabei in der „Variante A“ eine runde Bahnhofshalle, in „Variante B“ ist das Gebäude nach Süden verschoben und überdeckelt dabei große Teile des Humboldthafens. Allerdings garantiert die „Variante B“ während der Neubauarbeiten einen reibungslosen Bahnverkehr. Kleihues gleicht den Mangel an Büro- und Dienstleistungseinrichtungen aus, indem er in nördlicher Richtung einen ganzen Stadtteil anhängt.
Der massive Eingriff in die bestehende Stadtstruktur und dezentralen Streckennetze wird das Gebiet radikal verändern. Zu diesem Bauvorhaben gehören als Teile des sogenannten „Pilzkonzepts“ noch die viergleisige unterirdische Nord-Süd-Verbindung zwischen Gleisdreieck und dem Abzweig Spandau/Gesundbrunnen, der Ausbau einer leistungsfähigen Ost-West-Verbindung auf der Berliner Stadtbahntrasse sowie weitere Bauten für neue U- und S- Bahnhöfe. Schon allein deshalb wird eine Urbanisierung des Monstrums für 50 Millionen Reisende jährlich schwer möglich werden. Mitte 1993 soll das Planfeststellverfahren eingeleitet werden. Der Baubeginn des Verkehrsbauwerks ist für das Frühjahr 1995 vorgesehen. Die ersten Züge sollen in dem rund 4,2 Milliarden Mark teuren Gesamtprojekt im Jahr 2000 rollen. Rolf Lautenschläger
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