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Romeo & Julia in den Alpen

■ Claus Peymann hat Turrinis "Alpenglühen" i Wiener Burgtheater uraufgeführt - ein Stück über Täuschungen und ein Geschenk für arrivierte Darsteller

„Ich bin ein Dramatiker, der viel von den Menschen, die er auf die Bühne bringt, wissen muß. Damit ich viel von ihnen weiß, brauche ich viel Nähe zu ihnen.“ Peter Turrinis ästhetisches Prinzip der Nähe – anläßlich der Uraufführung von „Tod und Teufel“ in einem Interview geäußert (siehe taz vom 19.11.90) – ist auch für sein jüngstes Stück „Alpenglühen“ bestimmend. Seine seit „Tod und Teufel“ verstärkt erfolgte Hinwendung zum Theater (die auch mit seiner Abkehr vom Medium Fernsehen zusammenhängt), sein zunehmendes Interesse für den Theaterbetrieb und die Probenarbeiten ließen Turrini ein Stück schreiben, das das Theater in mehrfacher Hinsicht thematisiert.

Alpenglühen ist erst einmal ein Text über zwei ältere Schauspieler, die, Turrinis Vorliebe für Außenseiter entsprechend, zwei gesellschaftliche Versager abgeben, die aber einigermaßen poetisch aufgeladen sind. Der alte Mann, seit 40 Jahren blind und einsam in den Alpen hausend, vorher unter anderem Direktor eines kleinen Theaters in der Provinz, ist „verlogen, blind und impotent“, wie Jasmine durchaus zärtlich anmerkt, während sie selbst – nach seiner ebenso zärtlichen Beschreibung – „eine etwa fünfzigjährige, verrückte Frau, eine völlig erfolglose Schauspielerin mit einer ziemlich unförmigen Figur“ ist. Im Laufe eines Tages – mit Sonnenaufgang, Nebelschwaden, prasselndem Regen und sternenklarer Nacht – lernen die beiden einander kennen und kommen sich über ihre Liebe zu Shakespeares „Romeo und Julia“ auch näher.

Derart ermöglicht Peter Turrini zwei älteren Schauspielern – in der Gemeinschaftsproduktion des Wiener Burgtheaters und des Hamburger Thalia Theaters: Traugott Buhre und Kirsten Dene – eine Rückkehr in das Rollenfach der jungen Liebenden. Alpenglühen, ein Stück über Verwandlungen und Täuschungen, ist so auch ein Geschenk für arrivierte Darsteller: Was als Faktum peinlich anmutet – nämlich eine Frau, die 30 Jahre lang eine einzige Rolle studiert und mit dieser ihrer Julia immer wieder, ohne Erfolg, zum Vorsprechen antritt, und ein 70jähriger blinder Romeo – erweist sich im Kontext der Turrinischen Rahmenhandlung als rührend, in der Inszenierung von Claus Peymann und der Darstellung von Buhre und Dene sogar als Lehrstunde der Romeo-und-Julia-Interpretation.

Die Gefahr von Alpenglühen liegt eher darin, daß es von Kiel bis Konstanz nachgespielt wird und in die Hände von Provinzgrößen gerät. Je schmaler aber die Kluft zwischen Darstellern und Figuren wird, desto unfreiwillig authentischer und komischer wird dieses Stück geraten. Alpenglühen ist aber nicht bloß ein Stück für und über zwei Theaterexistenzen, sondern auch ein Stück Theaterphilosophie. Wenn Turrini zum Finale Jasmine und den Blinden eine gekürzte Version der Balkonszene mit dem Hinweis spielen läßt: „Sie spielen so gut wie noch nie“, schickt er seine Figuren über jene Grenze, an der Thomas Bernhard seine Kunstfiguren in ihrem größtmöglichen Anspruch naturgemäß scheitern ließ; weder in der „Macht der Gewohnheit“ kommt eine Aufführung des „Forellenquintetts“ zustande, noch im „Theatermacher“ hebt sich der Vorhang für „Das Rad der Geschichte“.

Kirsten Dene vollzieht als Jasmine eine zweifache Wandlung: zuerst spielt sie eine Hure im Kunstpelzmantel und mit roter Perücke, die sich dann als verklemmte Sekretärin des Blindenverbandes zu erkennen gibt, um sich schließlich als Schauspielerin zu entpuppen. Erst jetzt offenbart sie ihr wahres Ich und legitimiert auf diesem Weg ihre Verwandlungen. Am Ende spielt sie auch nicht mehr die Julia, sondern ist Julia. Traugott Buhre stellt den sich selbst als Lügner bezichtigenden Blinden so geschickt dar, daß man ihm zu guter Letzt alles glaubt: den Imitator, der er ja ist, aber erst recht den Blinden. Erweist sich etwa in Pirandellos Dramaturgie die Wirklichkeit als brüchig, verfestigen sich bei Turrini die Fiktionen zur Wirklichkeit. „Das ist ja das Wunderbare am Theater, es gibt den ganzen Schwindel zu, will gar nichts anderes sein als Fiktion und öffnet damit das Tor zur Wirklichkeit.“ Turrinis Alpenglühen ist eine Liebeserklärung ans Theater als einem Tor zur Wirklichkeit, das nur von einem unverbesserlichen Idealisten geöffnet werden kann. Karl-Ernst Herrmann, der für Bernhards Stücke ganz im Sinne des Autors geschlossene Räume entwarf, folgte Turrinis Bühnenbildanweisungen ebenso kongenial: Ein großes schräges Glasdach gibt den Blick frei auf ein sich im Hintergrund erhebendes Bergmassiv, das so kitschig ist, wie man es aus Heimatfilmen kennt, und so wirklich, wie man es nur von Hermann erwarten darf. Dieter Bandhauer

Peter Turrini: „Alpenglühen“, Inszenierung Claus Peymann. Bühnenbild und Kostüme: Karl-Ernst Hermann. Mit Kirsten Dehne, Traugott Buhre und Florentin Groll. Weitere Vorstellungen im Wiener Burgtheater: 2., 3. und 4. März.

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