Geben's acht auf die Pracht

...'s wird gestohlen in der Nacht: André Hellers „Kapriolen des Varietés“ im Wintergarten  ■ Von Klaudia Brunst

„Ihren Autoschlüssel!“, fordert der breitschultrige Schnauzbart, der seinen Kopf ziemlich vorwitzig in das fahrlässig heruntergelassene Wagenfenster reckt, und es klingt ein wenig nach „Hands up – give me your money!“. Kaum daß mein Begleiter so recht verstanden hat, was hier gespielt wird, reißt ein weiterer Uniformierter die Beifahrertür auf – kein Zweifel: wir sind umzingelt! – und wünscht uns so ostentativ einen „guten Abend“, daß wir kleinlaut tun, was von uns verlangt wird: Ade geliebtes Auto, auf Nimmerwiedersehen!

Das gibt's nur einmal in Berlin, Car napping als Eröffnungspräsent eines verträumten Varietéabends: Seh' ich weg von dem Fleck, ist der Wagen auch schon weg. Drinnen geht's dann zünftig weiter: Ein clownesker Profi-Fotograf lichtet die eintreffende Prominenz gegen zehn Mark cash in Farbe ab, fröhliche Serviererinnen servieren Luther&Wegner, und zwischen allem zitiert die Lautsprecheranlage Otto Reutter – „geben's acht auf die Pracht“ – die alten Legenden des Varietés.

Es ist Gala-Premiere im Wintergarten. Nach fünf ausverkauften Monaten hat André Heller ein neues Programm aus dem Hut gezaubert, „Kapriolen des Varietés“ sollen es sein, aber die Kapricen sind doch weit weniger kunstvoll als im Eröffnungsprogramm letztes Jahr, dafür klingelt Schwenkows Kasse um so lauter: Über 38.000 Karten will er für diese Show schon abgesetzt haben, noch bevor die erste Keule geschwungen wurde, der erste Gummimensch sich verrenkt hat.

Das ist allemal einen Applaus wert, und versetzt das Publikum vielleicht in größeres Staunen als die Geschicklichkeitsnummern auf der Bühne. Da rollen die „Castors“ aus Paris diverse bunte Tonnen rücklings auf ihren Füßen (und gelegentlich auch noch ihren Kollegen, was dann schon viel lustiger ist), da stapelt Majestro Bartschelly Gläserturm auf Gläserturm, natürlich ohne einen Tropfen Champagner zu verschütten, und auch der indische Schattenspieler Rao zeigt zum hundertsten Mal, womit er schon seit Jahren durch Europa reist: Katzen und Hunde, Kröten und Krokodile. Das alles kennt man schon, und ist es auch noch so professionell dargeboten, mag es doch niemanden mehr wirklich verzaubern.

Um eine Klasse besser ist da schon der Russe Buba. Auch er hat's mit der Geschicklichkeit, aber wie er dann seine Davidoff von der Fußspitze in den Mund und zurück kickt, dabei noch elegant ein Glas Himbeersirup im Silberreif umherschleudert und Kapriolen mit dem Bowler schlägt, ist endlich wirklich großartig. Und als die Collins-Brüder dann am späten Abend mit beeindruckender Leichtigkeit vorführen, wie man artistische Hochseilakte mit launiger Clownerie verbindet, finden die sechshundert im Saale endlich ihren Glauben an die triviale Kunst wieder, und dem Herrn Heller fällt hinter der Bühne ein Stein von der Seele.

Wäre da nicht der göttliche Max Raabe gewesen, der mit seinen stilvoll verknöterten Conferencen und den wunderschönen Couplet- Einlagen die vielen fixen Faxen zusammengehalten hätte, der ganze Abend wäre keine noch so kleine Meldung wert gewesen: So aber muß man dann doch an dieser Stelle einmal innehalten und vermelden, daß uns künftig wieder ein subkulturelles Kleinod fehlen wird. Denn der Herr mit dem exakten Scheitel und der glockenklaren Stimme wird nun sicher große Karriere machen: „Seh' ich weg von dem Fleck, ist der Raabe auch noch weg...“

Nach knappen zwei Stunden ist der Spuk dann endgültig vorbei, wir holen uns die Überzieher aus der Garderobe und den Wagen vom Parkplatz. Kein großer Abend, aber auch kein nennenswerter (Zeit)Verlust – nur daß der Valet-Parking-Service vergaß, unseren Wagen abzuschließen, das ist doch wirklich mal eine Kapriole!

André Heller: „Kapriolen des Varietés“, mit Max Raabe, Ezio Bedin, den Collins-Brüdern u.v.a.; täglich um 20.30 Uhr im Varieté Wintergarten, Potsdamer Straße