Ein Märtyrer in Hoyerswerda

Nach einer Racheaktion rechter Jugendlicher starben zwei Menschen/ Zweifelhafter Selbstmord in der Gefängniszelle/ Schwerverletzter Fahrer einer Metal-Band gestorben  ■ Aus Hoyerswerda Annette Rogalla

Damals, im September 91, dachten sie, ein Vietnamese habe ihren Hund geprügelt. Sie sannen auf Rache und warfen Molotowcocktails gegen die Häuser derer, die keinen deutschen Paß hatten. Knapp anderthalb Jahre danach geht die Gewalt von einer eingeschmissenen Heckscheibe und ein paar zerstochenen Reifen aus. So etwas kommt in Hoyerswerda oft vor und wird direkt beantwortet. Aug-um-Aug und Zahn-um-Zahn, nach einfachen Kampfgesetzen und mit rüden Methoden wird das ausgetragen, was hier alle als „den Kampf zwischen rechten und linken Jugendlichen“ verharmlosen. Nur kein Aufsehen erregen, ist doch der Ruf der Stadt bereits ramponiert. Nun steht sie wieder in den Schlagzeilen: Zwei Tote in Hoyerswerda.

Das Drama begann am Freitag vorletzter Woche.„Eigentlich war nichts Besonderes los an dem Freitag abend“, sagt Rolle*, einer aus der rechten Clique. Wie immer war er mit seinen Kumpels im Jugendclub WKX. Dort langweilten sich die Glatzen, tranken Bier, einige hauten auf die Musikinstrumente ein, die ihnen die Stadt spendiert hat. Oi-Musiker wollen sie werden, „Bollwerk“ nennen sie sich.

Einige Wohnkomplexe weiter tritt an diesem Abend in der Kneipe „Nachtasyl“ die Heavy- Metal-Gruppe „Nekromanths“ aus dem benachbarten Spremberg auf. Ein paar Glatzen beschließen hinzugehen, „um ein bißchen zu lauschen, was die so draufhaben“. Der Türsteher weist sie ab, denn die Zuhörer kommen hauptsächlich aus der linken Szene, das gäbe nur Ärger. Die Freunde ziehen daraufhin wieder in ihren Jugendklub. „Weder frustriert noch sonstwas“, sagt Rolle. Kurz darauf heißt es, in der Nähe des „Nachtasyls“ sei bei einem Trabbi einer Glatze die Heckscheibe eingeschlagen worden. Für die Rechten ist klar: Das müssen die linken „Zecken“ gewesen sein. Die Glatzen werden nervös („Schon die zweite Attacke auf eins unserer Autos!“) und wollen die Täter im „Nachtasyl“ suchen. Etwa zwei Dutzend machen sich auf, doch das Konzert ist schon eine Weile vorbei. Mike Z., der Fahrer der Metal-Band, lädt bereits die Instrumente in den Kastenwagen. Nur im Billardraum sitzen noch einige langhaarige Gäste, vom Alkohol schwer angeschlagen. Sie werden als Linke identifiziert und an den Haaren aus der Kneipe geschleppt und draußen verprügelt.

Was genau geschah, untersucht derzeit der Staatsanwalt. Soviel steht für ihn fest: Mike Z. wurde zusammengeschlagen, fiel hin. Dann schmissen die Glatzen das Auto über ihn und verschwanden. Der Staatsanwalt sagt, dies sei gegen 0.10Uhr gewesen. Eine ganze Stunde lag Mike unter dem Auto begraben, dann erst kamen Polizei und Krankenwagen. Der Staatsanwalt sagt, die Polizei sei erst gegen 1.00Uhr benachrichtigt worden.

Der Wirt des „Nachtasyls“ berichtet die Sache anders. Aus Furcht sei man den Glatzen nicht gleich hinterhergegangen. „Kurz vor halb eins sind wir hoch und haben den Wagen wieder aufgestellt, dabei habe ich Mike gefunden“, sagt „Kneiper“ Roger. Ein Telefon mußte gesucht werden, dann wußte der Krankenwagen nicht, wie er an die Kneipe heranfahren sollte; sie liegt versteckt, unter der Erde, zwischen einem Parkplatz und einer Kaufhalle. Wertvolle Zeit verstrich, Mike Z. kam schwerstverletzt ins Krankenhaus. Letzten Freitag starb er.

Die Polizei unternimmt in der Tatnacht nichts. Erst Samstag um elf klingeln Beamte der „Sonderkommission Rechtsextremismus“ an der Wohnungstür von Peter A. Er ist einer der führenden Köpfe in der Glatzenszene, einer, der das Pogrom 1991 mit angezettelt und drei Monate in U-Haft gesessen hatte, dem aber nichts Konkretes nachgewiesen werden konnte. Als einzige Glatze hatte Peter in der Nacht des Überfalls an der Theke des „Nachtasyls“ gesessen und mit seinem Bruder, einem Metal-Fan, Bier getrunken. Peter geht widerstandslos mit den Beamten. Von seiner Freundin verabschiedet er sich: „Ich bin bald wieder da, ich habe an nichts mitgemacht und nichts zu befürchten.“

Peters Verhör geht bis in die Nacht. Er sei sehr gesprächig gewesen, offen, keinerlei Ängste oder Erschöpfung, sagt Staatsanwalt Peter-Jürgen Anders. Sonntag mittag. Bevor er dem Haftrichter vorgestellt werden soll, wird Peter ein letztes Mal vernommen. Wieder macht er auf die Beamten einen ruhigen Eindruck. Dann wird er in die Zelle gesperrt. Um 15.45 schaut der Beamte nach ihm. Einundzwanzig Minuten später soll er zum Haftrichtertermin abgeholt werden. Um 16.06 Uhr wird Peter A. tot aufgefunden. Der Gerichtsmediziner legt die Todeszeit auf 16.00 Uhr fest. Innerhalb einer Viertelstunde soll Peter A. von seinem Bettlaken einen Streifen gerissen, diesen in ein Gitter gesteckt und verknotet haben, das 1,50 Meter über der Kloschüssel den Lüftungsschacht abdeckt, und sich aufgehängt haben.

Die Stäbe des Aluminiumgitters liegen, wie eine Besichtigung der Zelle zeigt, eng übereinander; noch nicht einmal eine Kinderhand könnte hindurchreichen, geschweige denn der Finger eines Erwachsenen. Wie Peter das Laken durch das Gitter gezogen haben soll, kann der Staatsanwalt sich nicht erklären. Der Oduktionsbefund gibt jedoch als Todesursache „Tod durch Erhängen ohne jedes Anzeichen fremder Gewalteinwirkung“ an.

Daß es Selbstmord war, können sich seine rechten Freunde jedenfalls nicht vorstellen. „Niemals“ habe Peter sich umgebracht. Seit einigen Monaten sei er psychisch stabil gewesen, sagt der Pfarrer, der ihn gut kannte. Im Diakonischen Werk war Peter auf einer ABM-Stelle beschäftigt und baute mit seinen Kumpels den Keller zum Partyraum aus. Vor drei Wochen lief er mit einem Ultraschallbild herum, jeder sollte sehen, wie schwanger seine Freundin ist.

Seit Freitag mittag der schwerverletzte Mike Z. starb, ermittelt der Staatsanwalt wegen Totschlags. Für ihn ist klar, „daß hier keine politisch motivierte Tat vorliegt. Die Skins wollten die Täter für die begangene Sachbeschädigung an ihrem Auto ausfindig machen.“ Kein Grund, sich sonderlich aufzuregen.

Hoyerswerda. Apathie, beklemmende Ruhe, ein Spruch geht um: „Es ist nicht die Frage, ob du eins in die Fresse kriegst, sondern wann.“ Einige Skinheads weinen. Soviel Gefühl ist schön anzusehen. Finden sie in ihrem Schmerz Mitleid mit den Opfern ihrer Gewalt? „Daß Mike draufgegangen ist... hat halt den Falschen erwischt.“ Und die Vertriebenen, die Opfer des Pogroms, das Peter mit angeführt hatte? Schnell wischt sich Glatze Schmecki* durch die Augen: „Nur ein toter Kanacke ist ein guter Kanacke.“ Wir sind die Kraft, wir haben die Macht, singt seine Oi-Gruppe „Bollwerk“. In Hoyerswerda haben sie jetzt einen Märtyrer.

*Namen von der Redaktion geändert