: Champagnerbahn
„ich wolte Dihr gerne Sehen“: Voltaires Briefwechsel mit dem Preußenkönig Friedrich II. liegt vor ■ Von Sven Hanuschek
Am 31. August 1775 schreibt Voltaire an Friedrich II. mit der charmant-lakonischen Ironie desjenigen, der sich seiner Unersetzbarkeit bewußt ist: „Da liege ich nun im Quartformat, von Ratten und Würmern angenagt, wie ein Kirchenvater.“ Nach seinem Briefwechsel mit der russischen Zarin Katharina II. liegt nun auch dieser Briefwechsel Voltaires in umfangreicher Auswahl vor – zweifellos sein spannendster: über 42 Jahre (1736–1778) geführt, mit einem (wenigstens zeitweise) ebenbürtig cholerischen Partner, fast alle Themen einer Umbruchzeit umspannend. Elf Jahre nach Voltaires Tod zeigt die Französische Revolution dem Absolutismus sein Ende an.
Preußen war zu jener Zeit einer der fortschrittlichsten Staaten, und Friedrich, trotz aller irritierenden Handlungen, war ein aufgeklärter Monarch, der französisch schrieb und sprach und auf seine Gedichte und Kompositionen stolz war. Im Deutschen brachte er es jedoch nur zu geringer Meisterschaft. An seinen Kammerherrn schrieb Friedrich die gern zitierten Sätze: „Wohr heute gegen Mittag die Sone scheint, So werde ich ausreiten. Kome doch am fenster! ich wolte Dihr gerne Sehen; aber das fenster mus feste zu bleiben und in der Camer mus Stark feuer seindt!“
Es war zu jener Zeit üblich, bei günstiger Gelegenheit Nachbarstaaten zu annektieren, wie Friedrich das mit Schlesien tat; es war nicht üblich, Toleranz in religiösen Dingen zu üben, staatliche Manufakturen aufbauen zu lassen, Leibeigenschaft und Körperstrafen nach und nach abzuschaffen. Das ist nur bedingt, aber auch Friedrichs Verdienst gewesen; ein größerer Anteil mag mit dem eigenartigen Gebilde Preußen zu tun haben. „Nation“, „Nationalgefühl“ hat damals nicht existiert, und Preußen war ein kleines, künstliches Gebilde ohne natürliche Grenzen, besondere Reichtümer oder einem „Volk“; die Hälfte seiner Bewohner waren Polen, die andere Hälfte Brandenburger, Pommern und Flüchtlinge aus ganz Europa, nichts „Ursprüngliches“, was ein Zusammengehörigkeitsgefühl fördern könnte. Deshalb waren die Regierungen gezwungen, vernünftig zu bleiben und den steuerpflichtigen Untertanen andere Dinge anzubieten, um sie bei Laune zu halten oder ihre Zahl zu erhöhen. Daher die große, nicht uneigennützige Fremdenfreundlichkeit gegenüber Vertriebenen aller Konfessionen, etwa den französischen Hugenotten. Friedrich schreibt etwas kokett, als „treuer Jünger“ Voltaires verhandle er „mit tausend mohammedanischen Familien, denen ich in Westpreußen Heimstätten und Moscheen geben will. So wird es hier die vorgeschriebenen Fußwaschungen geben, und ohne empört zu sein wird man hilli und halla singen hören. Dies war die einzige Sekte, die in diesem Lande noch fehlte.“ Von den Exilanten wurde keine Anpassung, eher kulturelle Bereicherung erwartet; zu den gleichen (Zahlungs- )Pflichten gehörten die gleichen Rechte, darunter etwa, daß die Lehrer selbstverständlich die jeweilige Sprache ihrer Schüler sprachen.
Friedrich II. war also alles andere als ein nationalistischer Dämon, freilich auch nicht der aufgeklärte Freigeist, als den er sich seinem Briefpartner darstellt. In Machtfragen war er wohl eher ein offener Zyniker, mit Kriegen rasch bei der Hand, dem Voltaire, bei allen heftigen Gesten der Devotion, nicht nur sich untertänigst, sondern auch seine Beschränkungen deutlich vor die Füße wirft: „Werden Sie denn niemals aufhören, Sie und Ihre Amtsbrüder, die Könige, diese Erde zu verwüsten, die Sie, sagen Sie, so gerne glücklich machen wollen?“ Die Soldaten wurden vom „Aderlasser der Nationen“ in vier Kriege gehetzt, da war dann schon ein bißchen Humanität auch im Militär angesagt; und so verurteilte er einen Kavalleristen, der mit seinem Pferd Sodomie getrieben hatte, nicht mehr zum Tode: „Man versetze das Schwein zur Infanterie.“
Mehrfach will Friedrich seinen Briefpartner auf die Rolle als Gesamtkunstwerk einschwören: „Virgil war nur Dichter, Racine war kein Mann der Prosa, Milton war nur Sklave des Tyrannen seines Vaterlands“ Cromwell, Voltaire aber ist „auf all diesen... Gebieten Meister“, mit dem er deshalb nicht gedenkt, „über Politik zu parlieren; das hieße, seiner Geliebten eine Tasse Kräutertee reichen.“ Dichter und Philosoph soll ihm genug sein – war's aber nicht.
Voltaire lebte und schrieb als ein früher Dialektiker, der sich aus meist guten Gründen in alles mischte, sich dabei ständig widersprach; einerseits Katharina und Friedrich über Jahre zum Kampf gegen die Türken trieb; Prozesse gegen Fehlurteile der „Affen in Roben“ führte und stolz auf seine Brieffreundschaften mit den HerscherInnen Europas war. Eines war er nicht: ein „guter“ Mensch, wie das einige Feuilletonisten heute von SchriftstellerInnen verlangen; von Voltaire hat das niemand erwartet. Daß er – auch am preußischen Hof – verbotenen Spekulationsgeschäften nachging, fleißig Pamphlete schrieb, mißliche politische Intrigen spann, wurde bedauert, tat seinem Ruf als dem universalen Geist seiner Zeit aber keinen Abbruch: Friedrich beschimpft ihn in einer eher scherzhaften Aufwallung als „Wetterfahne..., ein Undankbarer, ein Treuloser“, dennoch bleibt er ihm „das einzige große Genie des Jahrhunderts“.
Was diesen Briefwechsel tatsächlich zu einer „Champagnerbahn“ macht, wie ihn der Übersetzer und Herausgeber Hans Pleschinski nennt, ist eine vergnügliche, inzwischen vergangene Kultur brieflicher Konversation. Nicht nur die einzigartige Themenvielfalt, auch die hochgradig stilisierte Art und Weise des damals schon mindestens halböffentlichen Austausches macht ihn reizvoll, beide Schreiber ergehen sich in Doppel
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deutigkeiten, Anspielungen, Posen, Herrscher- und Dienergesten, über allem liegt Zuckerguß. Voltaire zum Beispiel überschlägt sich schier über eine „unverschämte Schrift“, in der „sämtliche Albernheiten über die Küche des Königs (Friedrich) ausgeschwätzt werden, in der man sich mit der verdammungswürdigsten und strafwürdigsten Indezenz über die königliche Familie ausläßt“. Zwanzig Personen könnten bezeugen, daß Voltaire sie nicht geschrieben haben könne, sein altböser Feind wolle ihm das unwürdige Pamphlet unterschieben, ihn bei Hofe unmöglich machen, und immer so weiter geschwallt – keine Frage: die Schrift stammte von Voltaire. Dasselbe Verfahren hat er am Beispiel der Kirche geschildert, seiner Hauptfeindin: „Ich schätze... die Methode sehr, l'infÛme Nasenstüber zu versetzen, indem man sie mit Höflichkeiten überhäuft.“ In diesem Sinne muß es auch verstanden werden, daß Voltaire seine Tragödie Mahomet ausgerechnet Papst Benedikt XIV. widmete, welcher seinerseits seinem „geliebten Sohn unsern Apostolischen Segen“ erteilte.
Im (vollständig edierten) Briefwechsel mit Katharina entsteht zeitweise der Eindruck, Voltaire sei neben Agitation gegen den Türkensultan Mustapha, das „dicke Schwein“, in erster Linie am Verkauf der Erzeugnisse seiner Genfer Uhrenmanufaktur gelegen. Im Austausch mit Friedrich reißt die blumige Höflichkeit, höfliche Blumigkeit immer wieder auf, man beschimpft sich ganz aufrichtig. Hans Schumann hat sich in der Katharina-Edition mit einem ausführlichen Sachkommentar begnügt, Hans Pleschinski konnte seinen eigenen Witz in den Erläuterungen und verbindenden Zwischentexten nicht zurückhalten. Das ist der Ausgabe gut bekommen, der „Kirchenvater“ liest sich weg wie ein Roman, kaum eine unterhaltsame Anekdote fehlt (das mit dem Sodomiten hat Pleschinski ausgelassen).
Ein Zuckerl zum Schluß: Voltaire, während seiner drei Jahre an Friedrichs Hof und nach ersten größeren Verstimmungen, kündigt an, er werde „in Kürze ...Ihre Ode rupfen“, und schildert einen Traum, der schon vermuten läßt, daß seines Bleibens nicht mehr lange sein wird: „Ich will in Ihrem Potsdamer Garten promenieren und dort arbeiten. Ich denke, daß das erlaubt ist; im Traum stelle ich mir vor, daß ich auf höllisch riesige Grenadiere stoße, die mir das Bajonett auf die Brust pflanzen und mich anbrüllen mit furt und sacrament und der König! Und ich laufe davon wie die Österreicher und die Sachsen.“
„Aus dem Briefwechsel Voltaire – Friedrich der Große“. Herausgegeben, vorgestellt und übersetzt von Hans Pleschinski. Haffmans 1992. 580 Seiten, 88 DM.
Voltaire/Katharina die Große: „Monsieur – Madame“. Der Briefwechsel zwischen der Zarin und dem Philosophen. Übersetzt, herausgegeben und mit einer Einführung von Hans Schumann. Manesse 1991. 432 Seiten, 39,90 DM.
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