■ Bürgerrechtler verweigern sich dem Stolpe-Ausschuß: Stellvertreter-Konflikt
Seit der Konstituierung des Potsdamer Stolpe-Ausschusses besteht dessen Aufgabe in erster Linie darin, den Anschein einer objektiven Untersuchung von Manfred Stolpes Stasi-Verstrickungen aufrechtzuerhalten – ein hoher Anspruch, dem gerecht zu werden den wackeren Potsdamer Parlamentariern versagt blieb. Es hätte schon Profis des darstellerischen Faches bedurft, um die unterwürfige Sympathie für den amtierenden Ministerpräsidenten und den Respekt vor der öffentlichen Meinung hinter der stoischen Maske unvoreingenommener Wahrheitsfindung zu verbergen. Die Phantasie jedenfalls reicht nicht, eine Zeugenaussage zu erdenken, die den Abgeordneten auch wirklich jedes Hintertürchen für die Stolpe- freundliche Interpretationsvariante zugeschlagen hätte. In dieser Disziplin haben die Potsdamer Ermittler wirklich Maßstäbe gesetzt: Kein noch so belastendes Detail, das sich am Ende nicht doch auch als Facette Stolpeschen Aufopferungswillens zum Wohle der seinerzeit geknechteten DDR-BürgerInnen hätte lesen lassen.
Kaum überraschend, daß die gestern vor den Ausschuß geladenen BürgerrechtlerInnen auf Aussagen zur Sache verzichteten, um statt dessen die Arbeit des Gremiums ad absurdum zu führen. Den Bürgerrechtlern konnte es nicht darum gehen, den in den Köpfen der Ausschüßler längst formulierten Persilschein für Stolpe, durch – wie auch immer widersprechende – Aussagen zu legitimieren. Zu Protokoll gegeben wurde statt dessen der Protest. Dieses Gremium, so die oppositionelle Botschaft, hat sein Bewertungsrecht längst verspielt. Warum da noch mitspielen? Die Reaktion der so Brüskierten – einige, die zu DDR- Zeiten nicht durch Kritikfreudigkeit auffielen, plädierten gestern für die Zwangsvorführung der einstigen Oppositionellen – geriet da nur noch zum abschließenden Plädoyer für das „ungebührliche Verhalten“ der Bohley, Templin, Rathenow u.a.
Dennoch – die Aktion der Bürgerrechtler hat einen nostalgischen Beigeschmack. Demgegenüber dürfen sich die Ausschüßler, längst auf der Höhe der Zeit, als Spiegel der gesellschaftlichen Stimmungslage fühlen. Das erst macht sie immun gegen die Kritik, das erst gibt der Kritik ihren kompensatorischen Anstrich. Denn der eigentliche Adressat des Protestes wäre eine Gesellschaft, die sich vom bürgerrechtlichen Anspruch einer grundlegenden Aufarbeitung soweit entfernt hat, wie der Ausschuß von seinem Untersuchungsauftrag. Darin, nicht im unverschämt-lächerlichen Verhalten des Potsdamer Gremiums liegt die Crux, der auch mit noch so bohrender Stasi-Recherche nicht mehr beizukommen ist. Matthias Geis
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