piwik no script img

NS-Terror gegen Radiopioniere

■ Eine Ausstellung des Hessischen Rundfunks in Frankfurt

Gestern wurde im Foyer des Hessischen Rundfunks in Frankfurt eine Ausstellung eröffnet, die dem Schaffen und dem Schicksal seiner jüdischen Radiopioniere gedenkt. Titel: „Im Grunde hasse ich Erinnerungen... – Rundfunk und jüdische Mitarbeiter in Frankfurt 1923–45“. Das Verdienst dieser von HR-Leuten nebenher improvisierten Ausstellung ist, daß sie nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Form ihrer Darbietung der Spur des NS-Terrors nachgeht. So beginnt die Ausstellung mit dem wichtigen Hinweis, daß sie über mehr Lücken als Exponate verfügt. Denn gemäß einer NS-Aktennotiz vom 24. April 1945 wurden alle Personalakten und Unterlagen über jüdische Rundfunkmitarbeiter komplett vernichtet.

Das zweite Problem, mit dem die Ausstellung den Besucher vorweg konfrontiert, ist ihr Titel. Denn für viele Rundfunk-Mitarbeiter hatte die Praktizierung des jüdischen Glaubens in der Metropolensituation Frankfurts ihre Bedeutung verloren. „Jüdisch“ wurden sie daher erst durch die NS-Erfindung der „jüdischen Rasse“.

Auf 120 Tafeln verfolgt die Ausstellung in Wort und Bild 26 Biographien in drei farblich gekennzeichneten Phasen. Auf weißem Untergrund dokumentiert ist die Pionierzeit: Hans Flesch zum Beisspiel, der von der Radiologie zum Radio kam, war mit Aufnahme des Sendebetriebs des „Südwestdeutschen Rundfunks Frankfurt“ am 1. April 1924 erster Intendant. Von anfangs 43 stiegt die Rundfunk- Teilnehmerzahl im zweiten Jahr auf stolze 80.089. Die uns heute geläufige Form des Rundfunks wurde damals im wahrsten Sinn des Wortes erfunden. Der Name Hans Flesch ist damit untrennbar verbunden. Im Heft 36 der Zeitschrift Funk propagierte er „Rundfunk als intellektuellen Vermittler und Helfer zum besseren Verständnis von Kunstwerken“. Flesch steht für die Erfindung des „Sendespiels“ als autonomer Kunstgattung Pate. Seine am 10. Oktober 1924 ausgestrahlte „Zauberei auf dem Sender“ war das erste echte Hörspiel.

Mit roter Schrift gekennzeichnete Tafeln dokumentieren die NS-Machtübernahme im Rundfunkwesen nach 1933. Eitle Opportunisten, die sich bedingungslos an die antisemitische Ideologie anpaßten, verdrängten die Radiopioniere. Um einen Posten zu ergattern, attestiert sich z.B ein Theo Töller in seinem Lebenslauf umstandslos „angeborenen physischen Ekel gegen Juden“.

1935 wurde den jüdischen Radiopionieren der „Prozeß“ gemacht. Spärliche Bilddokumente zeigen etwa Hans Flesch bei der Einlieferung ins KZ Oranienburg. Über das Schicksal zahlreicher Radiomacher der ersten Stunden ist nichts bekannt. Diese Phase ist mit schwarzer Schrift dokumentiert. Die mehr als unvollkommene Entnazifizierung des wieder entstehenden Rundfunkwesens nach 1945 wäre eine lobenswerte Fortsetzung dieses Projekts.

Die als Wanderausstellung konzipierte Dokumentation im Funkhaus am Dornbusch ist noch bis Mitte Mai zu sehen und endet mit den jüdischen Festwochen in Frankfurt. Begleitet wird sie von einem Schwerpunkt im Hörfunk- und Fernsehprogramm des HR. Manfred Riepe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen