: Kunst ist zersetzend
■ betr.: "Die Feinen und die Bösen", taz vom 20.2.93
betr.: „Die Feinen und die Bösen“, taz vom 20.2.93
[...] Seit dem Artikel von Bodo Morshäuser weiß ich, daß wieder einmal Diedrich Diederichsen hinter allem steckt. Mal im Ernst: Auch wenn Sie, lieber Herr Morshäuser, bereits vor Jahren einen wichtigen Satz gesagt haben – Intellektuelle reflektieren nur die Trends, machen sie aber nicht. Was Diederichsen schrieb, war – auf seine Art – eine Fortführung dessen, was u.a. Gruppen wie DAF (und bedeutendere andere) gemacht haben. Wenn die mit Formen spielen und Inhalte zerstören, tun sie erstens das, was Künstler immer tun sollten (Kunst ist nämlich zersetzend, sogar Goebbels wußte das), und zweitens kann man sich gerade bei dem zitierten Song „Der Mussolini“ nicht über Mangel an Inhalt beklagen: es hieß nämlich nicht nur, wie im Artikel zitiert, „tanz den Adolf Hitler“, sondern auch: „und jetzt den Kommunismus“. Dieses Lied war ein Schlag ins Gesicht für alle, die gebetsmühlenartig die Unvergleichbarkeit von Hitler und Stalin in Geschichtsseminaren beschworen hatten.
Heute, nach dem Zusammenbruch der großen linken Utopie, stehen so einige vor den Trümmern ihrer alten Glaubensinhalte. Um so mehr erbittert es sie, wenn einige Künstler und Intellektuelle (z.B. auch Biermann und Enzensberger) das große Beben vorausgeahnt haben, wobei sie sich keinesfalls wie Katzen oder Ratten davonschlichen, sondern durchaus sich bemerkbar gemacht hatten. Der Pullover mit Hakenkreuzmuster war – vielleicht – ein ästhetischer Vorbote des Glatzenterrors. Wer behauptet, er habe ihn verursacht, könnte mit gleichem Recht verkünden, Kafkas „In der Strafkolonie“ sei der geistige Urheber des Archipel Gulag. Bernhard-Andreas Becker- Braun, Essen
[...] Es ist schon peinlich, auf welch kleinen Nenner die 80er Jahre und ihr postmoderner Touch gebracht werden: ein Firlefanzpullover, eine Textzeile von DAF... Berlin war zwar eine Insel, aber hat Morshäuser wirklich so wenig mitbekommen?
Die Vorwürfe, die er gegen Diederichsen richtet, sind ungerecht. Dieser war zwar vielleicht irgendwann einmal drauf und dran, eine situationsverhaftete Position jenseits von links und rechts (wie man so schön sagt) zu formulieren, hat sich aber längst in den braven Konsens eingereiht und sein antifaschistisches Pflichtpensum auch in Spex abgearbeitet.
Morshäuser propagiert das große Vergessen: Er sehnt sich nach einer Beendigung der Blasphemie und einer Rückkehr zum Vernunftglauben. Diese Mentalität ist anachronistischer als die „der Rechten“, die er zu fürchten scheint, weil er sich von ihr infiziert sah. Während „die Rechte“ latent die Relativität ihres Treibens und den illusionären Charakter ihrer Obsessionen ahnt, pocht Morshäuser rein und frisch auf die Disziplin, sich intellektuellen Versuchungen nicht länger auszusetzen.
Dies ist eine armselige Position, der das flache formale Niveau seines Essay-Versuches entspricht. Hat der Fall der Mauer ihm den Halt geraubt? Erschöpft sich seine Botschaft heute in bloßer Konformität? Peter Boßdorf, Bonn
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