: Aufstand im Warschauer Ghetto
■ Debatten, Filme, Musik, Fotos: Veranstaltungsreihe zum Aufstand vor 50 Jahren
„Kann man das überhaupt einen Aufstand nennen? Es ging darum, sich nicht abschlachten zu lassen, wenn die Reihe an uns kam. Es ging nur darum, die Art des Sterbens zu wählen.“ Das sagt Marek Edelman, einer der wenigen Menschen, die den aussichtslosen Versuch der bewaffneten jüdischen Kampforganisation gegen die Liquidierung des Warschauer Ghettos vor 50 Jahren überlebt haben — Edelman durch die Flucht durch das Kanalsystem.
Nach einem Jahr Vorbereitung wird es in Bremen von März bis Mai ein umfangreiches und anspruchsvolles Programm (vgl. Kasten unten) geben, um an den Ghetto-Aufstand vor 50 Jahren zu erinnern. Gerade dazu gibt es keine einzige in Deutschland verfaßte Darstellung, keine bundesdeutsche wissenschaftliche Forschung: „Das Warschauer Ghetto liegt noch viel mehr als andere Vernichtungslager im dunkeln — als ob die Deutschen mit diesem einzigen Versuch der Juden, sich bewaffnet zu wehren, noch schlechter fertig würden als mit der Tatsache der millionenfachen Vernichtung“, sagte Hermann Kuhn, Mitinitiator der Veranstaltungsreihe. Keine Mißverständnisse: Es soll nicht darum gehen, eine verzweifelte Handvoll Kämpfer als Helden zu sortieren von den anderen, die sich deportieren ließen. Nur soll mit ihrem Aufstand an das millionenfache Schicksal der Jüdinnen und Juden erinnert werden.
„Wir wissen nicht, ob solches Erinnern Erfolg hat — sicher ist nur, daß wir es tun müssen“, ergänzte Elvira Noa aus der Kulturbehörde, die zusammen mit Maria Meyer im Bildungsressort Unterrichtsmaterial für die Schulen zusmmengestellt hat: „Die Jahre 1933-45 sind im Bewußtsein junger Menschen unendlich weit weg — eigentlich muß das Thema in Deutsch oder Geschichte Abitur- Pflichtthema sein!“ Einige der Gäste und Referenten, einige der wenigen Ghetto-Überlebenden werden als Gäste in Bremer Schulklassen kommen: „Ein Geschenk und eine Gnade für uns“, betonte Kuhn, „daß die Überlebenden dazu bereit sind! Wir haben nur noch wenig Zeit, Zeitzeugen zuzuhören — vielleicht kann man mit der dringenden Frage zu Bosnien heute eine Brücke zwischen den Generationen bauen: Was können wir tun?“ Die wenigen Überlebenden des bewaffneten Aufstands selber wollten nicht in dieses Deutschland reisen.
Zur großen Gedenk-Veranstaltung im Bremer Rathaus (21.4.) ist es gelungen, den amerikanischen Historiker Raoul Hilberg als Redner zu gewinnen, Verfasser des Standardwerks über den Mord an den europäischen Juden. Für die Rathaus-Veranstaltung hat auch Arnold Mostowicz aus Warschau sein Kommen zugesagt, einer der wenigen Überlebenden des Ghettos in Lodz, als Vorsitzender des Verbandes Jüdischer Widerstandskämpfer eine Stimme der noch lebenden und der ermordeten polnischen Juden.
Nächste Woche, am 10. März, wird die Fotoausstellung „Das Getto. Geburtstagsspaziergang in die Hölle“ eröffnet: Dokumente, Bilder, die der deutsche Feldwebel Jöst 1942 privat mit seiner Kamera im Warschauer Ghetto knipste. Dazu Geschichten von Günther Schwarberg — zum Beispiel die über den Textilkaufmann aus Bremen-Vegesack, der zum Millionär wurde mit den Kleiderwerkstätten, die im Ghetto für ihn produzierten — bis zur Vernichtung.
Es gibt Einführungsabende zum Thema Ghettoaufstand, Lese- und Diskussionsabende: Kann und soll „der wehrhafte Staat Israel“ eine Konsequenz sein aus dem bewaffneten Aufstand damals in Warschau, „als Bruch mit jahrtausendealter Demütigung und Demut?“ Aus Jerusalem kommt dazu ein Mitarbeiter der dortigen Gedenkstätte zum Halbtagsseminar „Nie mehr wehrlos“.
Das Thema ist hochaktuell. „Das Ghetto rief um Hilfe — antwortete die Welt?“ wird ein Halbtagsseminar im Mai fragen, nicht diskutierbar ohne den Gedanken an die heutigen Internierungslager und den Völkermord in Bosnien. Wie reagierte damals die Weltöffentlichkeit, als Abgesandte der Widerstandsbewegung in Polen 1942/43 die Alliierten informierten und um Hilfe anriefen? Wie reagieren wir heute?
Unmittelbar vor der Verleihung des Bremerhaver Bürgerpreises für Literatur wird die Preisträgerin Hanna Krall aus Warschau über Ghetto und Widerstand lesen. Aus ihrem Erinnerungsband „Als Mädchen im Warschaur Ghetto“ liest Janina Baumann, die heute in England lebt. Musik und Filme werden die Reihe begleiten: ein Klezmer-Konzert mit Giora Feidman, New York, eine szenische Lesung mit der Gruppe Argus; der dreiteilige Film „Der Schrei nach Leben“ in 3-SAT.
Mit der üblichen Kombination aus kostenlosem Engagement, Bremer Sparsamkeit und auch finanzieller Zusammenarbeit (Bildungswerk Umwelt und Kultur, Bildungswerk ev. Kirchen, Landeszentrale, Kultursenat, Deutsch-Israelische Gesellschaft, 'Erinnern für die Zukunft') ist die Finanzierung der Reihe halbwegs gesichert. Die VeranstalterInnen gehen davon aus, daß der Bremer Senat die Schirmherrschaft für die Auftaktveranstaltung im Rathaus auch als politische Geste übernimmt. Bundesweit sind nur ganz spärlich Aktivitäten zum 50. Tag des Aufstands vorgesehen. S.P.
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