: „Es ist nichts passiert“
■ ...sagt Uli Stein, Eintracht Frankfurts Bezichtiger, aber ein entscheidendes Tor von Lothar, dem Matthäus und Bezichtigten, hat er halt hinnehmen müssen
München (taz) – So viele Spiele, so viele schlechte – es gibt auch gute. Man glaubt's kaum, tatsächlich, auch im Olympiastadion zu München sind wunderschöne Fußballspiele zu erleben. Was braucht's dazu? Schönes Oktoberfest-Wetter? Unwichtig! Am Samstag war es eiskalt im weiten Rund, nebelte es und später rieselte auch noch Schnee dazu.
Feindliche Brüder? Ach was, die Eintracht aus Frankfurt und die Bayern aus München – sie waren ein Herz und eine Seele, obwohl doch Ghanas Volksheld Anthony Yeboah so lange wankte, ob er nun weiter für die Eintracht oder künftig doch die Bayern ins Tor trifft. Erst hat er sich für Frankfurt entschieden, dann war er nicht mal da am Samstag, der dicke Zeh schmerzte.
Also, was braucht's für ein gutes Fußballspiel? Zwei Mannschaften, die es können! Hier die Bayern, da die Frankfurter, der Tabellenerste gegen den unmittelbaren Verfolger. Und schon entwickelt sich ein Spiel, das die Herzen von 63.000 Zuschauern im ausverkauften Stadion trotz Minusgrade in tristem Winter in Wallung bringt. Einen Sieger fand's auch, dank Lothar, dem fränkischen Sprachgenie, verdient hätte das Spiel ein sattes Remis. Aber Lothar, der Matthäus, traf in der 27. Minute mit der linken Klebe, und Uli Stein, Frankfurts Torwart, der Lothar unlängst vollinhaltlich treffend des Blablas bezichtigte, der schaute dumm aus der Wäsche. Später schaute Lothar ängstlich nach seinem linken Oberschenkel, der zwickte nämlich, und Lothar, der Matthäus, ließ sich auswechseln. Das hätte er besser nicht getan.
Denn fortan bestimmte die Eintracht das Geschehen auf dem beheizten Rasen vor unbeheizten Rängen. Wäre nicht Uwe Bein, der Genius im Mittelfeld, als Vollstrecker so furchtbar unpäßlich gewesen, die Bayern müßten den Verlust mindestens eines Punktes beklagen (Trainer Erich Ribbeck: „Wir hätten auch höher gewinnen können, aber das wäre nicht gerecht gewesen“). Aber Uwe, der Bein mit Hand und Fuß, der schlug wunderschöne Pässe, 37 an der Zahl, wie ein privater Fernsehcomputer ermittelt haben will, aber paßte vor dem Tor. So blieb's bei dem Treffer von Lothar, dem Matthäus.
Und nun sei die Meisterschaft entschieden (Ribbeck: „Gott bewahre“), klagten vermeintliche Experten auf der Tribüne, drei Punkte Vorsprung, das schafft die Konkurrenz der Münchner nimmermehr. Da kennen die Experten aber die neuen bescheidenen Bayern nicht, voran wieder der one and only Matthäus, der nicht einmal einen Zusammenhang zwischen seinem Ausscheiden und der Erstarkung der Frankfurter in der zweiten Hälfte erkennen wollte („Wir machen nicht alles optimal, aber aus diesen Fehlern können wir lernen, und das hilft uns weiter auf dem Weg zur Meisterschaft, und manche sagen jetzt, der Ball ist haltbar gewesen, aber das stimmt nicht, der war nicht haltbar, sondern sehr plaziert, und der Uli Stein hat den ganz spät gesehen.“).
Die Saison sei doch noch sooo lange, 15 Spiele zu spielen, und die Mitbewerber schliefen nicht. Bestätigung durch den Bezichtiger Uli Stein: „Es ist nichts passiert.“ Er selbst habe nun erst einmal seinen gezerrten Oberschenkel zu entzerren, drei bis fünf Tage habe ihm der Arzt Trainingsverbot auferlegt.
Und schon kann die entschiedene Meisterschaft wieder ins Wanken geraten: Wie wichtig Lothar, der Matthäus, für die Bayern inzwischen geworden ist auch auf dem Rasen, das zeigte sich nämlich, nachdem es ihn zwackte. In der zweiten Halbzeit lief nichts mehr außer den Frankfurtern. Da hat Trainer Dragoslav Stepanovic wirklich eine tolle Mannschaft aufgebaut, so wie die spielen können, stört's auch nicht, daß man ihre Namen (zum Beispiel Kochaber Tsahadadze, Slobodan Komljenovic) kaum aussprechen kann.
Bei so einem schönen Fußballnachmittag nimmt jeder gern einen Knoten in der Zunge in Kauf. Helmut Schümann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen