„Schreibtischhenkern“ zum Opfer gefallen?

■ Heftige Reaktionen auf Christa Wolfs Austritt aus den Akademien der Künste

Berlin (dpa) – Christa Wolfs Austritt aus den beiden Berliner Akademien der Künste Ost und West hat Bestürzung und Betroffenheit ausgelöst. Christa Wolf, Anfang der 60er Jahre kurze Zeit IM für die Stasi, später selbst lange Jahre bespitzelt und überwacht, hatte ihren Schritt so begründet: „Um die Debatte, die sich in meinem Fall auf mehr als 30 Jahre zurückliegende Ereignisse bezieht, für mich zu beenden, erkläre ich meinen Austritt aus beiden Berliner Akademien der Künste.“ Berlins Kultursenator Roloff-Momin forderte die Präsidenten der West- und Ost-Akademie, Walter Jens und Heiner Müller, auf, „alles zu versuchen“, die Autorin davon zu überzeugen, daß die gegen sie erhobenen Vorwürfe „nicht hinreichend für einen Austritt sind“.

Jens bezeichnete den Austritt als „entsetzlich und traurig“, äußerte aber seinen persönlichen Respekt vor der „sehr noblen Argumentation“ der Autorin. Er könne es verstehen, wenn sie „sowohl des Kesseltreibens als auch des ,Gestern hosianna und heute kreuzigt ihn‘ müde ist“. Er werde auch versuchen, sie zu überreden, ihren Entschluß zu überdenken. In einem persönlichen Schreiben an Jens schrieb Christa Wolf nach seinen Angaben unter Hinweis auf ihre Zuwahl in die West-Akademie 1982, sie sei der Akademie dankbar, „daß sie mich damals zu einem Zeitpunkt gewählt hat, als ich diesen Rückhalt in der DDR gebraucht habe und was meinen Handlungsspielraum erweiterte“. Sie denke aber, daß sie in der jetzigen Situation der Akademie „nicht mehr nützlich“ sein könne. Jens sprach sich im Zusammenhang mit den Stasi-Vorwürfen für eine „gemeinsame Offenlegung“ in der Akademie in Ost und West aus. „Mein Grundsatz bleibt: Nur derjenige, der einem anderen geschadet hat, kann nicht Mitglied unserer neuen Akademie sein, einerlei, ob er in Ost oder West lebt.“

Der Bündnis-90-Bundestagsabgeordnete Konrad Weiß erklärte, durch den Schritt Christa Wolfs würden die Akademien noch mehr veröden. Die „Kampagne“ gegen die Autorin sei böswillig und töricht vereinfachend. Offenbar sei es für die „Schreibtischhenker des deutschen Feuilletons“ nicht nachvollziehbar, daß Menschen sich verändern und Schuld und Versagen eingestehen können. Die Autoren Volker Braun, Christoph Hein und Stephan Hermlin, wie Christa Wolf Mitglieder im sogenannten 20er-Gremium der Ostberliner Akademie, zeigten sich überrascht. Das Gremium wird vermutlich morgen zusammen mit Präsident Heiner Müller über die Situation beraten. Christoph Hein sagte: „Für mich läuft das alles unter Komik zur Zeit.“

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