■ Cash & Crash
: Börse flußaufwärts

Tokio (taz) – Ist nicht die Börse das sicherste Thermometer für die wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Land? Doch nicht umsonst vergleicht der amerikanische Starökonom Lester Thurow den japanischen Kapitalismus mit einem Breughel- Gemälde, dessen Bäche stromaufwärts fließen. Emsig sind die Japaner derzeit wieder damit beschäftigt, ihre güldenen Gewässer in einen Himmel zu pumpen, der offenbar kurz vor dem Wolkenbruch steht. Nichts anderes erklärt die spektakuläre Börsen- Hausse in Tokio, die noch am gleichen Tag begann, als die japanische Zentralbank ihren düstersten Wirtschaftsbericht seit 20 Jahren veröffentlichte.

Doch munter handelten die Broker auch gestern ihre Papiere. Von einem neuen Optimismus war die Rede, als der Tokioter Nikkei-Index nach Tagesablauf auf 17.848,30 Punkten verharrte, zeitweise aber schon über 18.000 Punkte gelegen hatte. Das Schlimme aber war: Keiner wußte warum.

Zu lange ist der Himmel schon verfärbt, rollt täglich der Donner der großen Konzerne über das Inselreich, als daß sich die japanischen Broker in die Munterkeit der Beethovenschen Pastorale flüchten könnten. Sind nicht gerade die vierteljährlichen tankan-Berichte der Zentralbank zuverlässiger als jeder Wetterbericht. Darin berichtet die Bank of Japan über das Geschäftsvertrauen japanischer Unternehmer. 49 Prozent der Firmen sind nach dem neuesten tankan-Bericht vom Montag eher pessimistisch eingestellt. Nur 1976 waren die Angaben der Unternehmer noch mieser. Aber bürgt nicht die Ehrlichkeit des Geldes für ihre Zuverlässigkeit in allen Umwälzungen?

In Tokio eben nicht. Die Wahrheit lautet: Hier sind höhere Mächte im Spiel. Was für Maler und Komponisten gilt, gilt auch für Broker. Niemand schreibt seine Gesetze allein. Wie von einer wundersamen Hand hinter dem dunklen Himmel wird die Tokioter Börse gesteuert. Und immer wenn die Börsenmauern einzustürzen drohen, kommt ein Geldregen und legt den Sturm. Natürlich kommt die wundersame Hilfe nicht ganz vom lieben Gott, sondern nur von Vater Staat. Der schüttet seine Milliarden aus Pensionskassen und der Postsparkasse nach Bedarf über der Börse aus, denn wenn sie stürzt, gerade jetzt kurz vor Abschluß des japanischen Geschäftsjahres am 31. März, käme alle Hilfe zu spät. Die Banken würden wegen der Aktienverluste rote Zahlen schreiben. Das wäre nur der Anfang. Dann nämlich würden die Bäche beginnen, flußabwärts zu fließen. Das aber kann sich selbst die Börse in Japan nicht vorstellen. Georg Blume