piwik no script img

Einträgliche Trips der Abschiebevollstrecker

■ Lars Beckers „Schattenboxer“ – ein Thriller ohne deutsche Trutschigkeit

Ärger im Knast. Thai-Kick-Boxer Eddi hat seine vier Jahre fast rum und wenig Lust, sich die Entlassung im letzten Moment durch eine Messerstecherei vermasseln zu lassen. Aber der Afrikaner Festus hält Eddi das Stinktier vom Hals. Alles easy, Gemüter beruhigt, die Muskeln hinter Klinkermauern haben genug gespielt. Nachdem der Vollzugsbeamte (übrigens ein Echter) seines Amtes mit penibelstem Papierrascheln gewaltet hat, ist Eddi frei und stößt wieder zu seinen Box-Kumpels Guido und Tayfun. Ein bißchen unterkühlt ist dieses Wiedersehen, der Swing, den die Truppe mal hatte, ist raus. Sie sind aber trotzdem beide bereit, Eddi zu helfen, der Festus vor der Abschiebung nach Ghana bewahren will, wo dem Deserteur wiederum der Knast droht. Der oder auch die „Schattenboxer“ kämpfen, schleichen, tricksen, treten in einem unterkühlten Krimi, der nicht unterscheidet zwischen Kleinkriminellen und kriminellen Abschiebebeamten, die sich bei ihren Schleppertrips im „Namen des Volkes“ ein deftiges Zubrot als Drogenschmuggler verdienen.

„Schattenboxer“, der erste Spielfim des Hamburger Filmemachers und Krimiautors („Rote Sonne“, „Amigo“) Lars Becker, läßt neben geballter Körperlichkeit und Action die Handschrift des Dokumentarfilmers erkennen. Mit dem Dokumentarfilm „Afrika um die Ecke“ hatte Becker vor drei Jahren debütiert. Darin zeigte er undidaktische Portraits von in Hamburg lebenden Schwarzafrikanern, die er erzählen läßt, ohne ihre Aussagen mit einem Kommentar in einen interpretatorischen Rahmen zu fassen.

„Bei der dokumentarischen Arbeit habe ich ziemlich gut gelernt zuzuhören“, sagte Becker im taz- Gespräch, was ihm auch bei den Recherchen zu „Schattenboxer“ genützt hat. Die Grundidee zu diesem Film war die Story über eine Gang, deren Innenleben aus den Fugen gerät, und die doch versucht, weiter zusammenzuhalten. Entwickelt hat sich die Geschichte in ihren Details im Laufe der Recherchen, für die sich Becker — neben der Arbeit in der Wüste- Filmproduktion, die er in Hamburg zusammen mit Ralph Schwingel und Stefan Schubert betreibt — insgesamt zwei Jahre Zeit nehmen konnte.

„Kontakte zu Leuten im Knast hatte ich und konnte auch bei der Polizei ganz gut recherchieren. Voraussetzung war, daß ich mit offenen Karten gespielt habe“. Da war zum Beispiel die Frage, wie eine Abschiebung praktisch funktioniert – ein Ritual, das sich am Hamburger Flughafen in der Regel immer wieder freitags abspielt. In „Schattenboxer“ weigert sich die Fluggesellschaft, den Ghanaer Festus gegen seinen Willen mitzunehmen, und so lautet auch die offizielle Version der Deutschland anfliegenden Luftlinien, was jedoch in der Praxis mitunter ganz anders aussehen kann.

„Ich wollte keinen Film über Abschiebung machen, sondern eine Story erzählen, zu einem Thema, das zur Zeit einfach in der Luft liegt.“ Vor diesem Hintergrund erzählt er seine Geschichte, die Fiktion ist und doch mit der bundesrepublikanischen Wirklichkeit korrespondiert.

Schauspieler und Schauspielerinnen sammelte Becker auf deutschen Bühnen „von Hamburg, Düsseldorf, Hannover bis Wilhelmshaven“ auf. „Stars gibt's in Deutschland nur im Fernsehen“, bemängelt er am deutschen Film, und hat mit Diego Wallraff, dem Darsteller des Eddi – einer nicht nur begabten, sondern auch ziemlich gut aussehenden festen Kraft des Hamburger Schauspielhauses – durchaus einen aufgehenden Stern für die Hauptrolle gewonnen.

Noch intensiver als Wallraff allerdings hat sich Ralf Herfort, der als Guido sehr viel mehr im Ring zu agieren hat, mit einem in der Weltrangliste fightenden Kick-Boxer wochenlang auf seine Rolle vorbereitet.

Becker gehört mehr zu den soliden Handwerkern des deutschen Films. Er tüfftelte die Dialoge in knapper Sprache aus, vermied jedes Pathos und war bestens organisiert. Wie sonst hätte er, der vor Jahren noch eine Hamburger Kneipe betrieb, mit insgesamt 850.000 Mark – zusammengekratzt aus Berliner, hannoverschen und Hamburger Filmfördertöpfen und der eigenen Tasche – so etwas wie einen von deutscher Schwerfälligkeit unbelasteten Thriller hingekriegt, der unterhält und nicht verschweigt: Thank you, fuck you und goodbye, um's mal verständlich auf englisch zu sagen. Julia Kossmann

Lars Becker: „Schattenboxer“. Deutschland 1992, 35 mm, Farbe, 80 Minuten, mit: Diego Wallraff, Christian Redl, Catrin Striebeck u.a.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen