: Mit der Axt gegen den Ehemann
Das Martyrium von Fadime K., einer in Deutschland aufgewachsenen Türkin, die mit 15 Jahren gegen ihren Willen heiraten mußte und von ihrem Mann ständig vergewaltigt und verprügelt wurde ■ Aus Berlin Plutonia Plarre
Mit aschfahlem Gesicht sitzt die zwanzigjährige Türkin Fadime K. vor ihren Richtern. Ihre Stimme ist kaum zu verstehen, so leise spricht sie. „Ich konnte ihn vom ersten Tag an nicht ausstehen. Er widerte mich an.“ „Er“, das ist ihr Ehemann.
Fadime K. muß sich wegen versuchten Totschlags vor einer Jugendstrafkammer des Berliner Landgerichts verantworten. Am 28. Juni 1992 hatte sie in der gemeinsamen Weddinger Wohnung mit einer Axt auf ihren Mann eingeschlagen. Daß der 30jährige Idris K. die Verletzungen überlebte, grenzt an ein Wunder. Seine Schädelplatte war so zertrümmert, daß das Gehirn an einer Stelle herausquoll und eine Plastikplatte eingesetzt werden mußte.
Die Worte „mein Mann“ kommen der angeklagten Türkin während des dreitägigen Prozesses fast nie über die Lippen. Aus gutem Grund: Im Alter von 15 Jahren hatte sie ihr Vater zu der Heirat mit Idris K. gezwungen. Sie hatte den Mann noch nie gesehen. Die Ehe war für das Mädchen von Anfang an eine Tortur. Viele türkische Frauen erleiden ein ähnliches Martyrium – auch in Deutschland. Es wird nicht öffentlich bekannt, weil die Betroffenen nicht wagen, darüber zu sprechen: Eine Frau, die gegen ihren Gatten oder Vater aufbegehrt, verletzt aus traditioneller türkischer Sicht die Ehre des Mannes und muß dafür bestraft werden. Fadime K., die dieses Los nicht akzeptierte, ist eine große Ausnahme.
Seit ihrer Haftentlassung im vergangenen Herbst lebt die Türkin an einem geheimen Ort. Frauenprojekte sorgen für ihren Schutz. Das gemeinsame Kind Ismael lebt in einer Pflegefamilie. Idris K., erzählt die Angeklagte, bedrohe ständig ihre Familie, damit sie zu ihm zurückkehre. Nicht einmal im Gericht findet sie vor dem im Prozeß als Nebenkläger anwesenden Mann Ruhe. In den Pausen verfolgt der hagere aufgeschossene Idris K. die kaum 1,60 große Frau auf Schritt und Tritt und redet unablässig auf sie ein.
Zwischen Fadime und Idris lagen Welten: Sie wuchs in Deutschland auf, er in einem Dorf in Anatolien. Das Mädchen drückte in Berlin in der 8. Klasse die Schulbank, als ihr der Vater seine Heiratspläne eröffnete. Die Proteste seiner Tochter interessierten den strenggläubigen Muslim nicht. Er redete und prügelte so lange auf die Widerspenstige ein, bis diese zum Jugendnotdienst flüchtete. Nach fünf Wochen lenkte der Vater scheinbar ein: Sie brauche nicht zu heiraten, versprach er. Die Tochter glaubte ihm und kehrte heim.
Dann standen die Sommerferien vor der Tür. Das Mädchen mußte mit den Eltern und den sechs Geschwistern in die Türkei reisen. Im Hause der Großmutter nahm der Vater die Tochter erneut in die Mangel: „Entweder du heiratest oder ich werde dich zu Tode schlagen.“ Auch die Mutter drängte, „Kind, du mußt zustimmen“. Der 15jährigen blieb keine Wahl. „In der Türkei hat man keine Chancen mehr, da kann man nicht weglaufen“, erzählt sie in einer Prozeßpause. „In der Türkei sind die Gesetze anders als hier.“ Zwei Tage später stand das Mädchen vor dem Altar. Die Hochzeitsnacht wurde auf archaische Weise vollzogen. Erst sperrten die Verwandten die frischgebackenen Eheleute in ein Zimmer. Später inspizierten sie das öffentlich ausgehängte Laken auf Blutspuren.
Als Fadime den Richtern von der Hochzeitsnacht berichtet, wird ihr so übel, daß sie nicht weitersprechen kann. Ihre Verteidigerin Angelica Voss beantragt eine Prozeßunterbrechung: „Meine Mandantin muß sich laufend übergeben.“ Stockend und leise erzählt die junge Frau dann, daß sie vor der Hochzeitsnacht nicht einmal aufgeklärt worden war und sich vergeblich des Mannes zu erwehren suchte. „Ihm war es egal, daß ich Schmerzen hatte.“ Auch später habe sie ständig gegen ihren Willen mit ihm schlafen müssen. „Er war immer so grob.“ Zum Glück konnte Fadime ein paar Wochen nach der Heirat nach Berlin zurückkehren, weil ihr Zuzugsrecht sonst verfallen wäre. Bei der Rückkehr merkte sie, daß sie schwanger war, und hätte das Kind am liebsten abgetrieben. Die Eltern verboten es. Bald darauf kam Idris K. für drei Monate zu Besuch. Trotz der Schwangerschaft, so die Angeklagte, „mußte ich wieder gegen meinen Willen mit ihm schlafen“. Um zu verhindern, daß sein Touristenvisum wegen der Geburt verlängert wird, ging die hochschwangere Frau zur Ausländerbehörde und erreichte dort, daß der Mann in die Türkei zurückgeschickt wurde. Stunden nach seiner Abreise brachte sie Ismael zur Welt.
Doch die Ruhe vor dem Ehemann währte nur kurz. Idris K. wollte seinen Sohn sehen. Auf Geheiß ihres Vater mußte Fadime mit dem Kind in die Türkei fliegen: „Die drei Wochen waren für mich wie Monate, ich konnte es mit ihm nicht ertragen.“ Als sie nach ihrer Rückkehr eine Anstellung als Packerin gefunden hatte, faßte sie sich ein Herz und bat Idris K. in einem Brief um die Scheidung. „Ich habe ihm erklärt, daß ich ihn nicht liebe.“ Die Strafe folgte auf dem Fuße. Der von dem Ehemann telefonisch benachrichtigte Vater schickte seine Tochter sofort in die Türkei, wo sich erneut gewalttätige Szenen abspielten. „Aus der Scheidung wurde nichts“, sagte Fadime K., „weil er zur Bedingung machte, daß ich ihm Ismael dalasse.“ Zurück zu Hause, setzte der Vater seiner Tochter eine letzte Frist: Wenn sie nicht binnen der nächsten Monate eine Wohnung fände, damit Idris nach Berlin kommen könne, „gehst du für immer in die Türkei“.
Im Frühjahr 1992 war es soweit. Kaum daß Fadime die Wohnung hatte, stand der Ehemann vor der Tür: „Ich habe nicht erwartet, daß es so schnell geht. Das war ein Schreck“, erzählt sie leise. Fortan veränderte sich das Leben der jungen Frau grundlegend. Sie durfte nicht mehr allein auf die Straße. Immer wenn sie mit dem Kleinen spazierenging, war er dabei. „Ich durfte nicht nach links und rechts gucken, mußte immer auf den Boden blicken. Wenn ich doch mal hochgeguckt habe und ein Mann vorbeilief, fragte er gleich, woher ich ihn kenne, und gab mir eins auf den Kopf.“ Mit ihren Schwestern verbot er ihr Deutsch zu sprechen, weil er die Sprache nicht verstand. Während Fadime die Familie von ihren 1.200 Mark Gehalt als Packerin ernährte, blieb der arbeitslose Mann zu Hause bei dem Kind. In ihrer Not über die ständigen Prügel und Vergewaltigungen habe sie die Familie um Hilfe gebeten, erzählt die Angeklagte. Die Antwort des Vaters: „Dein Mann darf dich umbringen, wenn du ihm aus dem Bett wegläufst.“
Die Situation zwischen den Eheleuten spitzte sich immer mehr zu. Im April floß das erste Mal Blut: Fadime hatte Idris ein Messer in den Rücken gestochen. Sie sagt, er habe gedroht, den Sohn in der Badewanne zu ertränken, weil das Kind nicht essen wollte. Er sagt, sie sei ausgerastet, weil er dem wasserscheuen Kind das Gesicht gewaschen habe. Weil beide seinerzeit die Aussage verweigert hatten, wurde dieses Verfahren eingestellt.
Was dann am 28. Juni den Ausschlag für die Tat mit der Axt gegeben hatte, konnte im Prozeß nicht eindeutig geklärt werden. Fadime erzählt: „Er stank stark nach Alkohol und hat gesagt, er wolle mit mir schlafen.“ Schon in der Nacht zuvor hätte sie dem Mann, der nach „Erbrochenem gestunken“ habe, im Bett willfährig sein müssen. Trotz großer Schmerzen habe sie danach nicht zum Arzt gehen dürfen. In der Tatnacht sei der betrunkene Mann mit erhobenen Händen – „Ich bringe dich um“ – auf sie zugekommen. Da habe sie mit der Axt, mit der sie eigentlich nur hätte drohen wollen, zugeschlagen.
Der 30jährige Idris K., der so unter Kopfschmerzen leidet, daß er seine Stirn entweder in die Hände oder auf die kühle Tischplatte preßt, stellt alles ganz anders dar. Mit Hilfe eines Dolmetschers berichtet er, daß er im Bett gelegen und geschlafen habe, als ihn die Axt traf. Es müsse noch eine dritte Person in der Wohnung gewesen sein, versucht er seine Frau mit einem durchsichtigen Manöver zu entlasten. Fragen der Verteidigerin, ob er die Angeklagte zum Geschlechtsverkehr gezwungen habe, weist der Ehemann entrüstet zurück: Immer, auch in der Hochzeitsnacht, habe Fadime freiwillig mit ihm geschlafen. Die bohrenden Fragen der Anwältin nach seinem Intimleben werden dem Mann aus einfachen Verhältnissen immer unangenehmer. „Ich möchte nicht, daß mir diese Frau ständig Fragen stellt“, beschwert er sich beim Gericht. Aber die Anwältin darf fortfahren. Ob er sich vorstellen könne, wie schmerzhaft die Hochzeitsnacht für die 15jährige gewesen sei? „Ich weiß nicht, mir hat jedenfalls nichts weh getan“, gibt der Zeuge kaltschnäuzig zurück.
Daß der Mann aus der türkischen Provinz mit dem hiesigen Leben große Probleme hatte, geht nur aus Nebensätzen hervor. Die erste Zeit in Berlin, sagt er, sei er vollkommen durcheinander gewesen. Ständig sei er als „Sohn eines Esels“ tituliert worden und habe sich gefühlt wie ein „aus dem Käfig freigelassener Vogel“, der nicht zurechtkomme.
Die Jugendstrafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Achim Sachs verurteilt Fadime K. zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. „Die Tat ist das Resultat verschiedener Kulturkreise und Weltanschauungen“, sagt Sachs zur Begründung. Wenn sich die in Deutschland groß gewordenen Kinder von den traditionellen türkischen Elternhäusern loslösten, komme es häufig zu erheblichen Spannungen und einem bisweilen tragischen Ende. Eine angemessene Strafe und verständnisvolle Sätze, sollte man meinen. Nur die Notwehrversion hatten die Richter der Angeklagten nicht geglaubt. Der Grund: Fadime K. hatte aus der U-Haft an eine Freundin geschrieben: „Ich sitze im Knast, weil ich es nicht länger ertragen konnte, jeden Tag von meinem betrunkenen Mann vergewaltigt zu werden“, heißt es dort. „Meine Rechtsanwältin versucht aus der Sache Notwehr zu machen.“
Fadime K.s Wunsch, „ein neues Leben zu beginnen“, stünde nun nichts mehr entgegen, wäre da nicht die ständige Angst vor dem Mann. Sie hofft sehr, daß er in die Türkei zurückkehren muß, wenn das Familiengericht die Ehe für nichtig erklärt. Mit ihrer Familie hat die junge Frau nicht mehr viel zu tun. Ihr Vater, meint sie, würde sie jederzeit wieder an Idris ausliefern: „Wegen der Ehre.“ Was sie nun vorhat? „Auf jeden Fall möchte ich den Kleinen wiederhaben, die Schule zu Ende machen und Elektrikerin werden“, sagt sie, wirft ihre schwarzen Locken über die Lederjacke zurück und lächelt zaghaft. „Ich bin wirklich froh, daß ich hier in Deutschland bin.“ Zum ersten Mal hat ihr Gesicht ein bißchen Farbe.
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