taz im Dienst der Wahrheit: Ein historisches Korrekturwerk

Ein aktuelles Buch über den Reichstagsbrand korrigiert den Mainstream deutscher Geschichtsschreibung. Die taz veröffentlichte schon 1998 die Kritik an der Alleintäterthese.

Der Blick auf den Berliner Reichstag am Morgen nach dem Brand am 27. Februar 1933 Bild: Bundesarchiv via Wikipedia (CC BY-SA 3.0 de)

Jüngst veröffentliche der Rowohlt-Verlag das Buch „Der Reichstagsbrand“ des New Yorker Historikers Benjamin Carter Hett. Neben einer Fülle von neuen Quellenfunden weist er nach, dass die in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft in den sechziger Jahren kanonisierte These von der Alleintäterschaft des Kommunisten Marinus van der Lubbe für den Reichstagsbrand 1933 falsch ist.

Benjamin Carter Hett

 

„Der Reichstagsbrand. Wiederaufnahme eines Verfahrens“

 

Aus dem Englischen von Karin Hielscher

Rowohlt Verlag

Reinbek bei Hamburg 2016

640 Seiten, 29,95 Euro

Doch die Einzeltäterthese hätte eigentlich schon vor 20 Jahren als falsch bewertet werden müssen – beinah unabhängig von erst seit wenigen Jahren zugänglichen postsowjetischen Aktenbeständen, die die Alleintäterschaft Marinus van der Lubbes als absurde Annahme kenntlich machen.

taz-Redakteur Klaus Hillenbrand hat in seiner Rezension zu „Der Reichstagsbrand“ in dieser Zeitung (taz vom 24.05.2016) genau dies hervorgehoben. Er schreibt: „Hett ist fair, kann es wohl auch sein, weil er nicht Teil der bundesdeutschen Historikerzunft ist – anders als der kürzlich verstorbene Hans Mommsen, dessen 1964er Aufsatz zur Täterfrage der Darstellung des umstrittenen Verfassungsschützers Fritz Tobias vertraute und diese so zum gültigen Narrativ in der Bundesrepublik gemacht hat.

Der Versuch, Redakteure einzuschüchtern

Hett verzichtet auf jegliche Polemik gegen Mommsen und unterstreicht dessen große Verdienste, bleibt aber dabei, dass sich Mommsen hier nicht nur geirrt hat. Denn zugleich deckt Hett eine schier unglaubliche Erpressungsgeschichte gegen das Institut für Zeitgeschichte durch Fritz Tobias auf, der damit gedroht hatte, die NSDAP-Mitgliedschaft des Institutsleiters öffentlich zu machen.“

Taktvoll unerwähnt ließ Hillenbrand, dass Hans Mommsen, einer der mächtigsten Historiker der alten Bundesrepublik, noch 1998 zu aller Cholerik fähig war, wie die taz zu spüren bekam, nachdem sie am 21. Februar 1997 ein mehrseitiges Dossier von Alexander Bahar und Wilfried Kugel zum Reichtagsbrand veröffentlichte, Titel: „Waren es doch die Nazis?“. Hans Mommsen reagierte darauf direkt telefonisch: wütend und empört. Er war damals nicht mehr erpressbar und doch bereit, Redakteure einzuschüchtern, die seiner Darstellung widersprachen.

Das Dossier von Alexander Bahar und Wilfried Kugel, sowie ein lesenswerter Mommsen-kritischer taz-Text des Historikers Hersch Fischler (taz vom 04.11.2000 [PDF]) zum gleichen Thema, lieferten Benjamin Carter Hett offenbar verlässliche Expertisen, wie man dem Literaturzeichnis des sehr lesenswerten Buchs „Der Reichstagsbrand“ nun entnehmen kann.

JAN FEDDERSEN, Redakteur für besondere Aufgaben

Das taz.mag druckte am 21. Februar 1998 ein Dossier des Historikers Alexander Bahar und des Diplomphysikers und Psychologen Wilfried Kugel ab.

 

Darin schreiben sie: „Aktenfunde liefern neue Indizien dafür, dass doch die Nazis den Reichstag angezündet haben. Die Autoren dieses taz.mag-Dossiers stützen sich auf die Originalakten des Reichsgerichts, des Oberreichsanwalts und der Gestapo. Diese Dokumente lagen seit Kriegsende in den Moskauer KPdSU-Archiven, von 1982 an im 'Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED' unter Verschluß.“

 

Aus dem taz-Archiv: Lesen Sie das Dossier von Alexander Bahar und Wilfried Kugel hier als PDF nach.