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Lichtungen

Spät geehrt und in der Tradition Heideggers: die Dichterin Maria Zambrano  ■ Von Hubertus Breuer

Sie schrieb über Spinoza, Johannes vom Kreuz, Cervantes, Heidegger, Nietzsche, Ortega y Gasset, Freud, Rimbaud, Baudelaire. In diesem Spannungsfeld zwischen Literatur und Philosophie steht auch das eigenständige Werk der wichtigsten Vertreterin spanischen Geisteslebens dieses Jahrhunderts: Maria Zambrano, 1904 in Vélez- Málaga geboren, 1991 in Madrid gestorben.

Zambrano ist keine begrifflich klar argumentierende Autorin, wie etwa Hannah Arendt, eher schon ist sie der christlichen Philosophin Simone Weil verwandt – doch am nächsten steht sie durch ihre Methode der „dichterischen Vernunft“ der Sor Juana Inés de la Cruz, jener mexikanischen Nonne des 17. Jahrhunderts, der Octavio Paz in einem Buch „Die Fallstricke des Glaubens“ ein Denkmal als intellektueller Dichterin gesetzt hat. Von all diesen unterscheidet Zambrano eine kindliche Virtuosität. Zärtlich, bewegt vielleicht von verborgenen Verwundungen, fügt sie Neues aus den Bruchstücken abendländischer Tradition zusammen. Sie belebt abgegriffene metaphysische Begriffe, zieht moderne Dramen menschlicher Existenz auf vor den Szenarien alter christlicher Symbole. Spanien wußte die Größe dieser einmaligen Frau erst spät zu würdigen. 1988 wurde ihr der Cervantes-Preis verliehen, die angesehenste literarische Auszeichnung der spanischsprachigen Welt. Auf deutsch ist zur Zeit nur eines ihrer Werke erhältlich: „Waldlichtungen“, das Maria Zambrano 73jährig veröffentlichte. Es stellt eine Art Quintessenz ihres literarisch-philosophischen Denkweges dar. Gegenstand ihres poetischen Denkens sind hier einheitsstiftende Prinzipien der Welt, die über gegenständlich Erfahrbares hinausweisen und die dennoch unerläßliche Bedingung menschlicher Existenz sind. Was sich innerhalb unseres Erkenntnishorizontes aber nicht eindeutig bestimmen läßt, ist deswegen noch nicht sinnlos. Die theoretische Vernunft sollte darüber schweigen. Doch Erfahrungsgehalte zu beschreiben, deren Bedeutung für die menschliche Existenz nicht eindeutig faßbar ist, kann eine bildlich verfahrende „dichterische Vernunft“ vollbringen. „Samen also sind diese Zeichen und Gestalten einer Erkenntnis, die dem Wesen, das sie betrachtet, die Fortsetzung und die Entfaltung ihres Lebens abverlangt und verspricht.“

Heidegger, dem Zambrano einen begrifflich sensibilisierten Blick auf die menschliche Existenz verdankt, hat in „Sein und Zeit“ (1927) eine Analyse der Struktur menschlichen Daseins gegeben, dabei aber den Sinn des Lebens als Leerstelle verbal offen gelassen. Zambrano glaubt, diesen Sinn in einem meditativen Weg der Selbsterkenntnis selbst gefunden zu haben – Sinn sei, was sich auf diesem Weg enthülle. Die Grundbedingungen der Existenz, nach denen das innere Auge meditativ suche, seien zeitlos. Schreibt man diese Einsicht in ihre Biographie ein, dann zeigt sich: Das Zeitlose gab Zambrano Halt in haltloser Zeit.

Nachdem sie in Madrid Philosophie studiert und bei Ortega y Gasset über Spinoza promoviert hatte, mußte sie 1939 wegen ihrer Unterstützung der republikanischen Truppen nach dem Sieg Frankos Spanien verlassen. Viele ihrer Landsleute wie Rafael Alberti, Ramón Sender oder Max Aub gingen damals ins Exil. Zambrano kommt erst 1984 nach vielen Jahren universitärer Lehrtätigkeit – gefeiert und geehrt – zurück. Dazwischen liegt eine jahrzehntelange Wanderschaft über Paris, Porto Rico, Havanna, Rom und Genf. Philosophie und Literatur waren ihre einzige Heimat während dieses 45jährigen Exils. Der Aufenthalt in ihrer von poetischer Vernunft gestalteten Welt war der Widerstand gegen die Fremde. Die aus der christlichen Tradition stammenden Begriffe und Bilder, die sie dabei gebraucht, erwecken zwar bisweilen den Eindruck, sie würde im offenbarten Wort Gottes Zuflucht suchen. Doch der Schein trügt. Christliche Symbolik gebraucht sie nur, sofern sie ihre gewonnene Erfahrung der conditio humana damit anschaulich vermitteln kann.

In dem Band „Waldlichtungen“ werden die Bilder ihres Denkens in eine komponierte Konstellation gesetzt, um das jeweilige Thema eines Kapitels zu illustrieren. Wie in Walter Benjamins bekanntem Beispiel des Sternbildes, versuchen die einzelnen Bilder als sinnvolle

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Gestalt in ihrer Komposition auf das zu verweisen, was sich in diskursiver Rede allein nicht erschließen läßt. Das Verhältnis der neun Kapitel zueinander, ebenso streng komponiert, zeigt den meditativen Denkweg, vielleicht sogar Kreuzweg, der von einem „Erwachen“ aus „Schritten“ in der Mitte des Buches zur „Metapher des Herzens“ führt, zum Zentrum des Lebens: „Durch das Herz geht der Fluß des Lebens, den es durch Maß und Rhythmus bändigen muß. Aktive Passivität. Unermüdlicher Vermittler, Sklave, der herrscht.“ Weitere zentrale begriffliche Kategorien, die dabei die wesentliche Grundbefindlichkeit des Menschen in der Welt bestimmen, sind neben „Leben“ und „Sein“, „Angst“ und „Schönheit“. Das ist im Rückblick auf die philosophische Tradition, in der Zambrano steht (vom christlich-jüdischen Denken bis hin zur Existenzphilosophie), nicht besonders originell. Im Gegenteil scheint ihr dieses Erbe auch zu schaffen zu machen. Kritisch eingeklagt werden muß bei Zambrano eine Art Seinsgehorsam, die „Unerklärliche Hingabe“, wie ein Kapitel überschrieben ist, in das, was sich vermeintlich unverfälscht zeigt.

Für Heidegger im Sinne eines „Seinsgeschick“ hatte dies bereits in der Nazizeit problematische Folgen. Die Meditation läuft hier Gefahr, das Ruder aus der Hand zu geben, wie sie auch das Vertrauen des Lesers zu verlieren droht. Doch vielleicht ist dies auch der Preis, den Maria Zambranos Denken entrichten muß, um im Exil überleben zu können: das eigene kritische Potential aufzugeben zugunsten einer ursprünglichen Macht, die Unterwerfung fordert, dafür aber Sicherheit gewährt.

Unnachahmlich jedoch bleibt die Komposition der Meditationen. Den Ursprung dieser Musikalität bestimmte Zambrano einmal selbst: „Es scheint, als sei es das Fühlen der Zeit selbst, was sich musikalisch über das Fühlen dessen ergießt, der sie hört, indem er sie erleidet. Eine Musik, die sich in der Form des Gebetes gibt.“ Die unverbraucht musikalische Darstellung dieses Werkes fasziniert, ungeachtet dessen, wie der Leser sich zu den philosophischen Gehalten stellen mag.

Aus der Mitte des Buches, der „Metapher des Herzens“, wird dieser schließlich über drei Kapitel bis hin zu dem geführt, was dem Menschen „Himmel“ sein könnte. Diese Hoffnung ist vielleicht die Belohnung jener, die den von Maria Zambrano beschriebenen Denk- und Kreuzweg nicht nur nachvollziehen, sondern tatsächlich leben. „Und man fühlt sich auf ein Kreuz ausgestreckt, das aus der Zeit und der Ewigkeit gebildet ist. (...) Das Herz der Zeit nimmt das Klopfen der Ewigkeit auf, das Sich-Öffnen der Ewigkeit. Und die Zeit fließt als Fluß der Ewigkeit. Und wenn das immer so wäre, wenn der Mensch auf diesem Kreuz ausgestreckt wäre, dann lebte er wahrhaftig.“

Maria Zambrano: „Waldlichtungen“. Aus dem Spanischen von Gerhard Poppenberg, Suhrkamp Verlag 1992, 186 Seiten, 36 DM

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