Siegfried in Sepplhosen

■ Premiere von Siegfried in der Hamburg Oper / Günter Krämer bleibt dem Märchen-Konzept treu / Heinz Kruse sang die Siegfried-Partie mit Bravour

in der Hamburg

Oper/Günter Krämer bleibt dem

Märchen-Konzept treu/Heinz Kruse sang

die Siegfried-Partie mit Bravour

Der kleine Held hat große Bären. Was Siegfried da von der Leine läßt, ist allerdings für Ziehvater Mime alles andere als ein Koseartikel. Kreischend springt der Zwerg von der Esse, als das Tier auf ihn losgeht. Doch - oh Wunder, oh Pein! - das Bärchen stolpert über eine nichtinszenierte Schwelle und schwups liegt die Pracht der Firma Steif auf der Nase. Große Oper zeigt Bären...

Mit einem kräftigen Lacher begann so der dritte Teil von Günter Krämers Ring des Nibelungen-Inszenierung Siegfried. Wer gebangt hatte, hier könnte einer deutschen Heldengestalt ihre Rezeptionsgeschichte heimgezahlt werden, dem ward das Fürchten ausgetrieben. Keine Dialektik der Aufklärung, kein tiefsinniger Weltenmythos, sondern eher schlicht das Märchenhafte des Stoffes: so wie Krämer auch schon tapfer Rheingold und Walküre durchgekämpft hatte, so setzt er nun seinen Weg fort: mit lustvollem Mimentheater.

Doch Mime, Schauspieler, Pritschenschwinger (wir erinnern uns) waren nur Attribute, mit dem Thomas Mann Siegfried so trefflich belegt hatte. Nein, Siegfried ist mehr: „Hanswurst, Lichtgott und anarchistischer Sozialrevolutionär“. Wagner (wir erinnern uns), das ist eben (auch) eine ernste Sache und nicht nur Märchenstunde.

Der erste Akt zeigt uns die halb unter Tage liegende Schmiede Mimes. Der intrigante Zwerg hat's am liebsten düster. Siegfried in Lederhosen und als Strahlemann reißt erstmal ein Fenster auf: hell dringt das Licht einer Morgendämmerung herein (im Laufe des Abends steigt dann die Sonne immer weiter, um im letzten Akt gleißend das Licht für Brünnhildes „Heil dir, Licht“ zu geben). Der Wanderer, in Trenchcoat und Borsalino, setzt Siegfrieds Werk als Kulissenschieber fort: er läßt gleich die ganze Wand der Schmiede verschwinden. Bei solchen Frischluftorgien, das ist klar, hat Mime keine Chance.

1Zweiter Akt. Ein gigantischer Kratermond hängt über der Bühne. Düster ist's, die Luft plötzlich wie abgehangen (sogar das Orchester beginnt flau zu werden), im Laub regt sich was: Fafner's home. Wieder Auftritt des Wanderers als Kulissenschieber, der die Dinge für seinen Enkel bestens vorbereitet. Doch bevor Siegfried am Drachen sein Mütchen kühlen kann, nimmt Alberich - in Trenchcoat und Borsalino: oh Tiefsinn! - dem Großvater die Lust am Spiel: die Vorhersage von der Götter Ende besiegelt er mit einem dicken Schmatzer auf

1des Gottes bebende Lippen: Todes-, Bruder-, Mörderkuß? Und noch eine Freude bringt uns dieser Akt: das Piepmätzchen, das Siegfried Weg und Gefahren weist, tritt in persona als Sängerin auf: im feschen Jägerskleid darf sie stumm mit dem Knaben kokettieren. Entzückend geschmacklos.

Dritter Akt. Der Drachen ist tot, Wotans Speer zerschlagen, Brünnhildes Lohefelsen erklommen. Doch Siegfried hat seine Sepplhosen immer noch an. Er bleibt ein kleiner Junge. Und irgendwie mag die Walküre ihn auch

1gar nicht anfassen. Ein merkwürdiges Spiel beginnt: sie hinter, er vor der Bühnengaze. Sie klammert, er klammert, bis der Tüll zerreißt. Und alles in weiß. Entzückend anspielungsreich.

Horst Hiestermann als Mime und Heinz Kruse als Siegfried waren die Stars des Abends. Hiestermann bot eine unvergleichliche schauspielerische Leistung, Kruse ein gelungenes Debut. Auch die anderen Sänger sangen sehr zufriedenstellend. Gerd Albrecht blieb seiner Tradtion eines etwas lauen Dirigats verhaftet. Martin Koziullo