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PKK macht Friedensangebot an Ankara

Guerilla-Chef Öçalan will „politischen Kampf“/ Der irakische Kurdenführer Talabani als Überbringer der Nachricht, die in der Türkei wie eine Bombe einschlug/ Ankara skeptisch  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

„Der Kapitulationsbrief von ,Apo‘“, frohlockte die türkische Tageszeitung Hürriyet in ihrer Schlagzeile. Der Führer der kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), von Freund und Feind „Apo“ genannt, hatte angeblich das Ende des bewaffneten Kampfes in Türkisch-Kurdistan angekündigt. Grundlage der Meldung, die türkische Politiker und Medien in Aufregung versetzt, ist ein Brief von Jelal Talabani, des Führers der Patriotischen Union Kurdistans, an türkische Politiker, der ein Gespräch mit Abdullah Öçalan wiedergibt. Laut Talabani kündigt Öçalan das Ende des bewaffneten Kampfes an und verurteilt den „Terrorismus in allen Varianten“. Öçalan bevorzuge „politische Lösungen der Probleme statt Gewalt zwischen kurdischen und türkischen Brüdern“.

Er erwarte von dem türkischen Staat nicht, daß die PKK als politischer Verhandlungspartner anerkannt werde. Er akzeptiere auch einen Dialog der türkischen Regierung mit den kurdischen Abgeordneten im türkischen Parlament. Auch von „Separatismus“, von der Forderung nach einem unabhängigen kurdischen Staat habe Öçalan Abstand genommen. Vielmehr erkenne er die Einheit des türkischen Staates an. Öçalan selbst werde noch vor dem kurdischen Frühlingsfest Newroz (21. März) in einer Pressekonferenz die Wende in der PKK bekanntgeben. Der Brief Talabanis, der an den türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal und den türkischen Ministerpräsidenten Süleyman Demirel weitergeleitet wurde, schlug wie eine Bombe in Ankara ein.

Optimismus durchdringt den Brief Talabanis, der sich von einem Ende des bewaffneten Kampfes der PKK auch Vorteile für den kurdischen Bundesstaat im Nordirak verspricht. Gute Beziehungen zur Türkei und zu den USA sind für Talabani, der mit einem türkischen Diplomatenpaß ausgestattet ist, die Garantie, daß der von Saddam Hussein bedrohte faktische Kurdenstaat im Nordirak überleben kann. Talabanis Interpretationen sind mit Vorsicht zu genießen.

Nicht alles, was Talabani als Meinung des PKK-Führers weiterleitete, entspricht offensichtlich der Wirklichkeit. „Von uns kann nicht erwartet werden, daß wir einseitig die Waffen niederlegen“, sagte der Sprecher Öçalans der Nachrichtenagentur Kurd-Ha, die von der PKK gegründet wurde.

Nichtsdestotrotz ist von einer radikalen Wende in der PKK-Politik auszugehen. Denn anders als sonst folgte kein Totaldementi von seiten der PKK. Daß ein Gespräch mit Talabani stattgefunden hat, wurde von der PKK bestätigt. Und Öçalan lud türkische Chefredakteure und Kolumnisten zu einer Pressekonferenz in Beirut, die morgen oder übermorgen stattfinden soll, ein. „Unsere Kommentatoren betonen, daß, um Voraussetzungen für einen Waffenstillstand zu schaffen, auch positive Schritte seitens des türkischen Staates notwendig sind“, schreibt die Agentur Kurd-Ha, die halboffiziell die Auffassung der PKK wiedergibt. Die PKK sei keine Bewegung, die „Blut und Gewalt anbete“, und das Waffenstillstandsangebot zeige die „militärische und politische Kraft der Bewegung“.

PKK-Chef Öçalan ist wenige Tage vor Newroz mit seinem Friedensangebot vorgeprescht. Mit der Militäroffensive der türkischen Armee im Nordirak gegen Stellungen der PKK im Winter hat die Organisation schwere militärische Schläge einstecken müssen. Die Zwangsevakuierung Hunderter kurdischer Dörfer und die Entvölkerung ländlicher Regionen in Türkisch-Kurdistan in den vergangenen Jahren hat der Guerilla, die große politische Sympathie unter Kurden genießt, die logistische Unterstützung entzogen.

Türkische Politiker glaubten die „militärische Ausmerzung der PKK“ nahe. Militärisch war die Organisation in eine Sackgasse geraten. Insofern könnte der taktische Zug Öçalans, der den politischen Kampf der Kurden in den Vordergrund rückt, die türkischen Politiker in Bedrängnis bringen. Bislang benutzen sie den „Terrorismus“ als Vorwand, um jedem Kompromiß mit der kurdischen Minderheit auszuweichen. Auf eine PKK, die wie in der Vergangenheit die PLO eine Wende vollzieht, sind die türkischen Politiker nicht eingerichtet.

Recht hilflos kommentierte der türkische Innenminister Ismet Sezgin die Veröffentlichungen zur Wende der PKK-Politik: „Man kann dem Wort eines Räubers nicht vertrauen.“ Der türkische Staatspräsident Turgut Özal will die verbindliche Erklärung Öçalans abwarten. Doch auch er sagt verhalten optimistisch: „Ist es das Ziel, Trauben zu essen oder den Winzer zu verprügeln? Falls wir Trauben essen wollen, müssen wir uns auch so verhalten und das Blutvergießen verhindern.“ Auch aus der Stellungnahme von Ministerpräsident Demirel strahlt ein kleiner Hoffnungsschimmer: „Falls diejenigen, die die Ruhe zerstören, davon Abstand nehmen, werden wir sie nicht abweisen. Das erste Problem ist, daß das Blutvergießen ein Ende hat.“

Die türkischen Politiker geben auch zu bedenken, daß, selbst wenn Öçalan den bewaffneten Kampf aufgibt, die Organisation nicht geschlossen folgen wird. Das Augenmerk ist auf die Pressekonferenz des PKK-Führers gerichtet, die Klarheit über die politische Wende verschaffen soll.

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