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Kein Erlangen in Bremen

■ "Bremer Erklärung" / ChefärztInnen und Kammer halten sich raus

Kein Erlangen in Bremen

„Bremer Erklärung“ / ChefärztInnen und Kammer halten sich raus

„Die Benutzung einer für hirntot erklärten Frau“, organisch künstlich am Leben gehalten, „als lebendiger Brutkasten“ für einen Fötus, wurde vor einigen Monaten bei dem hochumstrittenen „Erlanger Experiment“ versucht. Weil der Fötus starb, endete der Versuch, und die öffentliche Debatte beruhigte sich. In Bremen soll sie aber weitergehen. So etwas ist theoretisch auch in Bremen möglich, und das darf und soll nicht sein, erklärte der Arbeitskreis Erlanger Experiment jetzt in seiner Bremer Erklärung.

„Das ist ja das Gruselige: Das Thema kann jederzeit akut werden! Wer garantiert mir, daß mit mir in Bremen solche medizinischen Experimente nicht gemacht würden?“ fragte gestern Antje Büssenschütt, die zusammen mit anderen die 'Bremer Erklärung' initiiert hatte. 400 Unterschriften waren in kurzer Zeit zusammengekommen, und letzte Woche übergaben die Initiatorinnen sie der Gesundheitsbehörde. In der Erklärung werden die „biologistische Sichtweise“ und das „Machbarkeitsstreben“ der beteiligten oder sympatisierenden Ärzte kritisiert und Zusammenhänge hergestellt zur Reproduktions-Medizin und zu neuen Transplantations-Techniken, die „lebende Tote als Menschenmaterial für Organtransplantationen ausweiden“.

Es gab viel Resonanz auf die Erklärung, aber die besonders anvisierte Gruppe der Bremer ChefärztInnen reagierte überhaupt nicht; dennoch unterschrieben allein 70 MitarbeiterInnen aus dem St.-Jürgen-Krankenhaus.

Für die Gesundheitssenatorin erklärte Abteilungsleiter Matthias Gruhl gegenüber der taz: „Alle im Hause sind sich völlig einig in der Ablehnung des Erlanger Experiments, nicht nur aus schwierigen ethischen Gründen, sondern auch aus frauenpolitischen.“ Die pauschale Problematisierung der Transplantationsmedizin allerdings teile man so nicht, sei aber gerne zu Debatten bereit. In Bremen, so Gruhl, sei so ein Erlanger Experiment „technisch ebensogut möglich wie in jedem besseren Kreiskrankenhaus“. Da ÄrztInnen grundsätzlich frei sind in ihren Therapiemethoden und keinen behördlichen Weisungen unterliegen, wären senatorische Auffassungen nicht bindend. Eine Ethik- Kommission für solche Fragen ist schon lange im Gespräch, wurde aber nie besetzt. Gruhl: „Wir werden die Bremer Ärztekammer noch mal schriftlich daran erinnern.“

Die hält sich sehr bedeckt und hat sich zu dem vieldiskutierten medinzinisch-ethischen Problem des Erlanger Experiments bisher keine Meinung gebildet. Auf Anfrage erklärte Geschäftsführer Arens: „Das kann man machen oder nicht, das hängt vom Einzelfall ab.“ Als bundeweit kleinste Kammer wolle man die Diskussion „abwarten“, eine eigene Haltung im Sinne eines Diskussionsbeitrags gebe es „bisher nicht“. Das Thema Erlangen werde „sehr wahrscheinlich“ auf der Bundes- Hauptversammlung im Mai diskutiert, „unter dem Punkt 'Berufsordnung', denn als Erlangen passierte, stand die Tagesordnung schon lange fest...“ S.P.

Der Arbeitskreis trifft sich 14tägig; Kontakt über den Gesundheitsladen: 4988634

In Zusammenarbeit mit dem Hauptgesundheitsamt veranstaltet der Gesundheitsladen die Reihe: „Essen aus dem Genlabor — natürlich nicht“. Geplante Debatten: „Es ist angerichtet“ (23.3.), „Goldene Gene für die 3. Welt“ (30.3.), dazu die Ausstellung „Essen aus dem Genlabor und andere GENiale Geschäfte“ im HGA, 5.-30.4.93. Über „Vom Acker zum Reaganzglas“ berichten wir am Samstag.

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