: Seelenverkäufer weiter auf großer Fahrt
■ Europäischer Gerichtshof lehnt Klage gegen Zweitregister ab / Schiffahrt zum Spartarif
Seelenverkäufer weiter auf großer Fahrt
Europäischer Gerichtshof lehnt Klage gegen Zweitregister ab / Schiffahrt zum Spartarif
Die Billigschiffe unter deutscher Flagge können weitersegeln. Auch künftig können deutsche Reedereien ihre Schiffe mit deutschen leitenden Offizieren, aber mit billigen und schlecht ausgebildeten Mannschaften auf den Meeren schippern lassen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat gestern eine Klage des Bremer Seebetriebsrats Bodo Ziesemer gegen seine Reederei, die Sloman Neptun Schiffahrts AG, abgewiesen: das deutsche „internationale Schiffsregister“ (ISR), besser bekannt als „Zweitregister“, verstößt somit nicht gegen europäisches Recht.
Geklagt hatte der Bremer Betriebsrat vor zwei Jahren, als die Sloman Neptun sechs phillipinische Seeleute anheuern wollte. Das Bremer Arbeitsgericht legte dem EuGH den Fall vor, weil der Beschwerdeführer durch das vor drei Jahren in der BRD eingeführte Zweitregister zwei Bestimmungen des EWG-Vertrags verletzt sah: Artikel 92, der staatliche Beihilfen für einzelne Unternehmen verbietet, wenn das zu Wettbewerbsverzerrungen führt und Artikel 117, der Sozialdumping verhindern soll.
Der Rechtsanwalt des Betriebsrats, Jürgen Maly, zeigte sich enttäuscht: “Wir hatten gar nicht so schlechte Chancen, denn auch die Europäische Kommission ist der Meinung, daß das Zweitregister eine unerlaubte staatliche Beihilfe darstellt.“ Diese Meinung teilten die Luxemburger Richter nicht: das Gesetz schaffe keine konkreten Vorteile, sondern nur Rahmenbedingungen, die Steuereinbußen seien zu gering, um von einer wirklichen Beihilfe für die Reedereien sprechen zu können. Die in Artikel 117 des EWG-Vertrags festgelegten sozialen Ziele der Gemeinschaft müßten Ergebnis einer Politik sein, die im einzelnen nicht gerichtlich nachprüfbar seien.
Der Anlaß für den Rechtsstreit war im Laufe des Verfahrens entfallen, weil die Sloman Neptun inzwischen alle ihre Schiffe ausgeflaggt hatte, also völlig unter fremder Fahne segeln läßt. „Das Zweitregister ist nicht mehr das, was es einmal war“, sagte Herbert Juniel, Vorstandsmitglied der Sloman Neptun, der eine für sein Unternehmen positive Entscheidung aus Luxemburg erwartet hatte.
Eindeutig gehe der Trend unter den deutschen Reedern zum Ausflaggen der Schiffe. „Das Zweitregister ist nur eine Übergangsflagge, die die Vorteile des Ausflaggens (niedrige Heuer) mit den Vorteilen der deutschen Flagge (Subventionen) verbinden soll“, sagte Jens-Peter Harbrecht von der „Kooperation UniversitätArbeitskammer“ in Bremen. In einer Studie zum Zweitregister prangert er die „legalisierte Mehrfachausbeutung“ an: „Für die Seeleute bedeutet das Zweitregister mehr Streß, weniger Qualifikation und kaum Kommunikationsmöglichkeiten untereinander.“ Den deutschen Behörden wirft Harbrecht vor, die fehlenden Qualifikationen der ausländischen Seeleute viel zu einfach anzuerkennen: „Von deutschen Sicherheitsstandards auf diesen Schiffen kann man nicht mehr sprechen.“
Nach dem verlorenen Prozeß in Luxemburg ist für die ÖTV und einige SPD-Länder, unter ihnen Bremen, Karsruhe der letzte Rettungsanker; schon lange liegen beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde und eine Normenkontrollklage gegen das Zweitregister.
Aktenzeichen: C-72/91
und C-73/91
bpo
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen