: Dissens über Energiekonsens
Heute beginnen die Gespräche/ Bundesumwelt- und Wirtschaftsministerium wollen weitere Atommüllager und atomare Heizkraftwerke ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) – Die ministerielle Atomkraftlobby in Bonn hat vor den heute beginnenden Geprächen über einen Energiekonsens in Deutschland hohe Hürden aufgebaut. In einem gemeinsamen „Positionspapier zum energiepolitischen Konsens“ legen sich Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium fest: „Eine gesetzliche Beendigung der Kernenergienutzung zur Energieerzeugung kommt nicht in Betracht.“ Sie lehnen damit die Möglichkeit politischer Verhandlungen über ein Ende der Atomkraftnutzung grundsätzlich ab. Vielmehr wollen beide Ministerien nicht nur neue Atommeiler, sondern sogar atomare Heizkraftwerke in Ballungszentren möglich machen; die Gewinnung von Wärme aus Atommeilern „soll angestrebt werden“.
Ähnlich hatten sich letzte Woche auch der bayerische Umweltminister Peter Gauweiler und der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos geäußert. Die Atomkraft stehe „nicht zur Disposition“, es gehe darum, wann neue Reaktoren eingesetzt werden könnten.
Chuzpe beweisen die Autoren des Positionspapiers auch in der Atommüllfrage. Das ungelöste Entsorgungsproblem wollen die beiden Ministerien durch zusätzliche Zwischenlager lösen, die „bedarfsgerecht errichtet werden“. Neben dem niedersächsischen Gorleben „werden weitere Standorte auf ihre Eignung“ für ein Atommüllendlager untersucht, heißt es kategorisch. Und das schon heute Wasser leckende Atommüllager Morsleben in Sachsen-Anhalt „wird entsprechend Einigungsvertrag bis zum 30. 6. 2000 betrieben“.
Auch beim Thema Wiederaufarbeitung (WAA) fallen die beiden Ministerien in ihrem Entwurf vom 4. März hinter die Position der Stromkonzerne zurück. Hatten RWE und VEBA vor Weihnachten schon ein Ende der Wiederaufarbeitung und damit der Plutoniumverarbeitung in Hanau in Aussicht gestellt, so fordern die staatlichen Vertreter jetzt die Fertigstellung der genehmigten und in Bau befindlichen Plutoniumanlagen in Hanau. Einziger Schritt von der Wiederaufarbeitung weg: WAA und direkte Endlagerung sollen künftig parallele Entsorgungsmöglichkeiten sein.
Während die Beamten der Minister Klaus Töpfer (CDU) und Günther Rexrodt (FDP) in ihrem knallharten Papier den Erhalt und Ausbau der deutschen Atomindustrie als bereits festgelegt darstellen, sprechen sie beim Kapitel Energiesparen lediglich von „möglichen Maßnahmen“. Dazu gehört auch die CO2- oder Energiesteuer, die einst als feste Planung von der Koalition vereinbart war. Energiesparmaßnahmen „sollen unter dem Gesichtspunkt technischer und ökonomischer Machbarkeit... ausgeschöpft werden“, Marktchancen für regenerative Energiequellen weiter verbessert werden. Das Thema Stromsparen sollte bestenfalls nach einer Einigung über die Atomkraftfragen angegangen werden, hatten die CSU-Vertreter schon gemeint.
Nicht einmal die von Ökologen beim Worldwatch-Institut oder bei Greenpeace ausgemachte Übergangsenergie Erdgas wollen die ministeriellen Atomkraftbefürworter zum Zuge kommen lassen. Die drohende „einseitige Importabhängigkeit“ beim Erdgas „setzt der Verwendung von Erdgas in der Stromerzeugung enge Grenzen“.
Auch die SPD hatte sich Anfang März auf eine ausgearbeitete Verhandlungsvorlage geeinigt. Der Ausstieg aus der Atomkraft binnen zehn Jahren, wie ihn die SPD seit dem Nürnberger Parteitag 1986 fordert, wird darin nicht mehr verlangt, eine rasche Stillegung der AKW Obrigheim, Stade, Würgassen, Brunsbüttel und Biblis A aber gefordert. Alle anderen Atommeiler sollen nach „x“ Jahren abgeschaltet werden, auf die Wiederaufarbeitung sofort verzichtet werden. Großen Wert legt die Partei, die heute und morgen durch die Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und Hans Eichel sowie die Politiker Wolfgang Clement und Harald B. Schäfer vertreten sein wird, auf den ökologischen Umbau der Stromwirtschaft durch den Vorrang der Kraft-Wärme- Koppelung und ein neues Energiewirtschaftsgesetz. Auch eine Neuordnung des Verkehrssektors sei „unverzichtbar – sonst droht der Verkehrssektor alle Energieeinsparungen in anderen Verbrauchssektoren wettzumachen“.
Dennoch finden sich in dem SPD-Papier interessante Gemeinsamkeiten mit Töpfer und Rexrodt. Die Suche nach einem deutschen Ersatzstandort für das nicht zu haltende Atommüllendlager in Gorleben verbindet Regierung und SPD-Opposition – ein Erfolg für Ministerpräsident Schröder. Andererseits legt das Papier der Sozialdemokraten nahe, daß die Anträge der Stromkonzerne für zusätzliche Atommüllzwischenlager in NRW und Niedersachsen Erfolg haben dürften.
Offen skeptisch in die Gespräche gehen die Grünen. Hessens Umweltminister Joschka Fischer, der die Debatte im letzten Herbst mit eingefädelt hat, beobachtet die Tendenz, daß die Stromkonzerne wieder zu mauern anfangen. Und beim letzten Vorbereitungstreffen Ende Februar hatten die CSU- Vertreter gemosert, Grüne seien doch gar nicht verhandlungsfähig, sie hielten ja am strikten Nein zur Atomkraft fest. Der SPD hingegen müsse „ein Ausstieg vom Ausstieg“ ermöglicht werden, so damals Peter Gauweiler.
Die Grünen verlangen ein „exaktes, sofort beginnendes, kurzfristig ablaufendes und politisch kontrollierbares Ausstiegsprogramm ohne jede Wiederaufarbeitung und ohne neue Zwischenlager oder atomare Genehmigungen“.
Skepsis gegenüber dem gut funktionierenden Kartell von Atomlobbyisten in den Ministerien und in der Regierung ist berechtigt. So befleißigte sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor einer Woche in seiner Positionsbeschreibung exakt der gleichen Formeln, die sich in dem internen Positionspapier von Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium finden. Der Energiemix mit Atomkraft sei ausgewogen und „diversifiziert“. Die Atomkraft helfe, im Jahr 160 Millionen Tonnen CO2-Emissionen zu vermeiden. Der Repräsentant des BDI in den Konsensgesprächen, Adolf Hüttl, ist nicht nur langjähriger Atomkraftprotagonist von Siemens-KWU. Er pflegt auch einen engen Draht zum Leiter der Atomabteilung im Bundesumweltministerium, Ministerialdirektor Walter Hohlefelder. Hohlefelder darf auf den Jahrestagungen der Atomindustrie gelegentlich Vorträge halten. Was er von einer Novelle des Atomrechts erwartet, hat er bereits deutlich gesagt: eine Beschleunigung der AKW-Genehmigungsverfahren und eine Ausweitung des Bonner Weisungsrechts gegenüber aufmüpfigen Landesregierungen.
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