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Macho-Genitiv

■ betr.: "Nachsitzen!", taz vom 10.3.93

betr.: „Nachsitzen!“ (Flimmern und Rauschen), taz vom 10.3.93

Wie soll man sich noch auskennen, wenn man Briefe mit Anreden wie „Liebe MitgliederInnen“ zu lesen bekommt?

Wir von der Stiftung Lesen gehören zwar zu den Verfechtern der klassischen Großschreibung, die ja demnächst abgeschafft werden soll, obwohl sie dem leichteren Leseverständnis nachgewiesenermaßen dienlich ist. Letzteres läßt sich allerdings vom allfällig mitten im Wort angehängten häßlich-umständlichen großen „...Innen“ nicht behaupten. Geschlechtslose Wesen, die wir hierdurch werden, verlernen wir es notgedrungen immer mehr, Männlein, Weiblein (und meinetwegen auch Fräulein) auseinanderzuhalten.

Ach, was wir da nicht zu leiden haben bei der täglichen „taz“-Lektüre! Und dann die fast täglichen Briefe an „Herrn Solveig Weber“! (Keine Bildung mehr heutzutage, noch nie Ibsen gelesen oder Grieg gehört...).

Die von Ihnen auferlegte Strafe für meinen Chef, das Kontrollieren unserer Adressetiketten, werde ich – mit Ihrer freundlichen Genehmigung – selbst übernehmen, denn in meiner Abteilung wurde die Geschlechtsumwandlung von Herrn Kotte (nicht allerdings von Frau Jaspers!) vorgenommen, und wenn ich es richtig sehe, hat auch nicht Hilmar Hoffmann Ihnen geschrieben, sondern ich.

Nachdem also unser Versuch, Herrn Kotte die Chance zur Identifikation mit dem stets so vernachlässigten weiblichen Geschlecht zu ermöglichen, so völlig fehlgeschlagen ist (ist der „kleine Unterschied“ vielleicht doch gar nicht so klein?), könnte ich mich auf einem neuen Gebiet erproben:

Was würden Sie davon halten, wenn man den frauenfeindlichen deutschen Genitiv, der Die Tageszeitung doch immer wieder zu „der Tageszeitung“ denunziert (zum Beispiel die Sprachkultur der taz, die Polemik der taz etc.), wenn man also diesen Macho-Genitiv auch einmal bei der Duden-Redaktion zur Diskussion stellt?

Wenn Sie dafür in Ihrer Adreßdatei den Doktortitel von Hilmar Hoffmann löschen könnten, den er gewiß noch nie für sich reklamiert hat, kämen wir einer Perfektionierung der Sprachkultur im Hinblick auf das Thema Anrede sicher einen Riesenschritt näher. Dr.Solveig Weber,

Stiftung Lesen, Presse- und

Öffentlichkeitsarbeit, Mainz

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