: Mammutprozeß gegen Klaus Speer, den „Paten von Berlin“
■ Boxpromoter und Immobilienmakler steht vor Gericht
Berlin. Al Capone hat seinerzeit eine Lappalie das Genick gebrochen. Wegen Steuerhinterziehung mußte der legendäre Gangsterboß hinter Gitter, nachdem er seine Bande durch Mord, Schutzgelderpressung und Alkoholschmuggel zum Synonym für Organisiertes Verbrechen gemacht hatte. Auch der Vorwurf gegen den sogenannten Paten von Berlin, der seit gestern vor Gericht steht, klingt zunächst nicht spektakulär: „Rechtswidrig erlangte vermögenswerte Vorteile“ und Nötigung sind die Anklagepunkte gegen den Boxpromoter und Immobilienmakler Klaus Speer.
Was so harmlos klingt, soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft aber ein Schlag gegen die Mafia der Hauptstadt werden. Folgt man der Anklage, so ist Speer tatsächlich der Pate von Berlin, wie ihn der Volksmund tituliert. 526 Seiten Anklageschrift haben die Staatsanwälte für den Prozeß vor dem Berliner Landgericht zusammengetragen. Speer soll unter anderem mehrfachen Betrug, räuberische Erpressung, schwere Körperverletzung, Wucher und unerlaubten Waffenbesitz auf seinem Konto haben.
Für die Ankläger ist er der „Kopf einer gut organisierten Bande, die über regionale und internationale Kontakte zu anderen verbrecherischen Organisationen verfügt“. Fünf Jahre lang haben die Ankläger Material gegen Speer und sechs weitere Angeklagte gesammelt. Im vergangenen Jahr schlugen die Ermittler mit Hausdurchsuchungen zu. In 170 Ordnern legten sie die Ergebnisse ihrer Recherchearbeit nieder.
Am ersten Verhandlungstag gibt es tatsächlich ein wenig Chicago-Atmosphäre im Landgericht. Speer sitzt im dunkelblauen Clubblazer mit goldenen Knöpfen und gepunkteter Krawatte hinter dicken Panzerglasscheiben. Das Gericht hat höchste Sicherheitsstufe verfügt. Die 225 Zeugen sollen zum Teil unter Polizeischutz in dem auf 60 Verhandlungstage angelegten Prozeß aussagen. Im Zuschauerraum sitzen Herren mit Sonnenbrillen und dicken Goldketten.
Speers Verteidiger Horst Mahler will erst einmal die Öffentlichkeit herstellen. Im Publikum säßen ziemlich zahlreich Polizisten in Zivil, und die sollen sich doch mal bitte zu erkennen geben. Dem Richter ist solches nicht bekannt.
Mahler kennt Speer seit gemeinsamen Gefängnistagen. Der Anwalt saß damals wegen Mithilfe an der Befreiungsaktion für Andreas Baader. Er will vor allem die Glaubwürdigkeit der Zeugen erschüttern, die er als Lügner und Psychopathen bezeichnet. Vom Erfolg dieser Strategie könnte der Ausgang des Prozesses abhängen. Die Staatsanwaltschaft erinnert sich mit Unbehagen daran, daß bei früheren Ermittlungen gegen Speer Zeugen schon mal unvermittelt ihre Aussagen änderten oder an Erinnerungslücken litten. Wie in den 20er Jahren bei Al Capone in Chicago. Ralf Neukirch (AP)
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