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Verfolgungsjagd an Polens Ostgrenze

Grenzwächter haben mit ihrer schlechten Ausstattung kaum Chancen im Kampf gegen illegale Einwanderer/ Schlepper mit Helikoptern der ukrainischen Streitkräfte  ■ Aus Przemysl Klaus Bachmann

Um die Portiersloge des Hauptquartiers der polnischen Grenzwache in Przemysl hat sich eine Traube Schaulustiger gebildet. Unter viel Stimmaufwand versuchen sie, das einzige Mädchen vom Einblick in die Loge abzuhalten, aus der ein Ächzen und Stöhnen dringt, als würden im Gebäude gerade einige illegale Grenzgänger gefoltert. Erst beim näheren Hinsehen erweist sich, daß die Portiers gerade keine Passierscheine ausstellen können, weil sie mit dem begeisterten Kommentieren eines Pornovideos beschäftigt sind.

Przemysl ist eine kleine Provinzstadt im äußersten Südosten Polens, direkt an der ukrainischen Grenze, nicht gerade Traumziel für ehrgeizige Staatsbeamte. Hauptmann M., Chef der polnischen Grenzer in Przemysl, möchte nur ungern namentlich erwähnt werden, obwohl er für das Interview die Genehmigung der Warschauer Zentrale erhalten hat. M. ist noch ein Grenzer vom alten Schlag und findet nichts Schlechtes dabei: „Unsereiner hat Erfahrung, die braucht man.“ Während des Gesprächs betätigt er ununterbrochen Knöpfe auf seinen Telefonapparaten, um seine Untergebenen auf Trab zu bringen, damit sie ihm die notwendigen Statistiken erstellen: „Soll ja auch stimmen, wenn's in der Zeitung steht, nicht?“

Hauptmann M. untersteht der ganze südöstliche Grenzbereich mit den beiden Übergängen in die Ukraine. Seit die Slowakische Republik und Ungarn ihre Grenze besser bewachen, häufen sich illegale Grenzübertritte aus der Ukraine und Weißrußland. Lückenlos zu bewachen sei die Ostgrenze nicht, bestätigt M.: „Zu viele Büsche, zu viel Wald und Hügel.“ Er kritzelt eine Skizze auf ein Blatt Papier: „Auf der ukrainischen Seite haben wir noch die alten Grenzvorrichtungen, erst die Grenzpfähle, dann den Stacheldraht und dann einen immer gepflügten Grenzstreifen. Wenn die Ukrainer was bemerken, sagen sie uns Bescheid. Dann beginnt die Verfolgungsjagd.“

Besonders gute Aussichten, die zu gewinnen, haben die polnischen Grenzer allerdings nicht: „Wir haben keine Helikopter und schnellen Autos. Nur einige desolate sowjetische Jeeps und polnische Mittelklassewagen, bei denen wir jedesmal zittern, ob sie nicht während der Fahrt den Geist aufgeben.“

An den offiziellen Übergängen wurden in diesem Jahr erst vier Personen festgenommen, drei Angolaner mit abgelaufenen Visa und ein Rumäne mit falschem Paß. An der grünen Grenze dagegen nahmen M.s Untergebene bis Anfang März 179 Personen fest, die versuchten, aus der Ukraine illegal einzureisen. „Früher waren es weniger, seit einiger Zeit kommen die in Gruppen rüber.“

Hinweise auf organisierte Schlepperbanden

Asylanträge werden nicht gestellt. Ein Grenzbeamter meint auf die Frage, wie er mit Asylsuchenden umgehen würde: „Keine Ahnung. Sowas ist bis jetzt noch nicht vorgekommen.“ M. würde sie der Polizei übergeben, er bezeichnet die Flüchtlinge ohnehin nur als Verbrecher. Es gebe Hinweise darauf, daß die illegale Einreisewelle das Werk organisierter Banden sei. Und denen haben Polens Behörden nichts entgegenzusetzen.

Am 18. November letzten Jahres, exakt um 15.40 Uhr, erlebten Polens Grenzschützer in der kleinen Grenzgemeinde Piaski ihr blaues Wunder. Zugute kam ihnen nur ihr kleines, inoffizielles Informantennetz in der Bevölkerung, das sie sich mit kleinen Gaben aus einem speziellen Informantenfonds warmhalten. An jenem Tag rief ein solcher wohlwollender Bürger an und teilte mit, er habe soeben einen großen Hubschrauber mit rotem Sowjetstern auf polnischer Seite landen sehen, aus dem eine größere Anzahl Menschen ausgestiegen sei.

Den Hubschrauber stellten später die ukrainischen Behörden sicher; einige ihrer Militärs hatten sich damit ein Zubrot verschafft: für durchschnittlich 1.500 Dollar pro Kopf hatten sie damit 29 Flüchtlinge über die Grenze geschafft, Iraner, Inder und Pakistani, die auf der Suche nach gutbezahlter Arbeit in Polen waren. Auf polnischer Seite wartete bereits ein Bus auf sie, der wiederum von einem bereitstehenden Taxifahrer gelotst werden sollte.

Alle 31 konnten nach längerer Verfolgungsjagd festgenommen werden, was allerdings mehr dem Zufall als den Fähigkeiten der Grenzer zu verdanken war. M.: „Wenn der Helikopter nachts gekommen wäre oder nicht ausgerechnet um die Zeit gelandet wäre, zu der die Schulkinder nach Hause gehen, hätten wir keine Chance gehabt.“ Die Grenzwächter selbst haben nämlich kein Radar, und für die militärische Radarüberwachung flog der Hubschrauber zu niedrig. Eine andere elektronische Überwachung der Ostgrenze existiert nicht.

Bei ihrer Arbeit sind die polnischen Grenzer daher weitgehend auf Informationen ihrer ukrainischen Kollegen und der örtlichen Bevölkerung angewiesen. Selbst von den Wachtürmen aus ist nicht jeder Abschnitt einzusehen. Bewacht werden nur ausgewählte, besonders kritische Abschnitte. Auf polnischer Seite gibt es weder Stacheldraht noch Zäune, nur Grenzmarkierungen und einen 15 Meter breiten Grenzstreifen, der aber nur bedingt befahrbar ist, weil er von den Bauern genutzt wird. Hat ein illegaler Grenzgänger die ukrainischen Befestigungen hinter sich, hängt alles nur noch davon ab, wer schneller ist.

Ein zentrales Funkleitsystem haben die polnischen Behörden nicht, und dreißig Kilometer hinter der Grenze endet die Kompetenz der Wächter ohnehin. Als die Grenze entstand, sollte sie nur Polen und Sowjetbürger voneinander trennen. An organisierte Schlepperbanden dachte damals niemand. Genausowenig wie an die Möglichkeit, daß ein ukrainischer Militärhubschrauber in Polen etwas anderes absetzen könnte als eine offizielle Partei- oder Regierungsdelegation.

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