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■ Rußlands Oberster Richter will in die PolitikDer Richter als Retter?

Der Auftritt Valerie Sorkins vor den Abgeordneten des Volksdeputiertenkongresses überzeugte: Ein Bilderbuchfall an Besonnenheit, Räson und Sorge um das Vaterland. Valerie Sorkin ist Rußlands höchster Verfassungsrichter und er genießt diesen Posten in vollen Zügen. Sein Kompromißvorschlag mußte erhört werden, von der aufmüpfigen Legislative wie vom ungestümen Präsidenten Jelzin. Sorkin ist der Leuchtturm im schweren Wasser des Rechtsnihilismus. Sorkin ist ein Held. Nach seinem Vermittlungsversuch zwischen Chasbulatow und Jelzin im Dezember erhielt er postwendend eine Auszeichnung. Zwar nicht mehr die Leninmedaille, dafür den „Preis für nationale Verständigung“. Es störte auch nicht, daß es der Retter war, der in seiner neutralen Eigenschaft den selbst vermittelten Kompromiß einige Wochen später torpedierte. Sorkin ist ein Fossil der Sowjetjustiz. Ein Rechtslegastheniker, der seinen offiziellen Übertritt in die Politik vorbereitet.

Schlimm genug, wenn sich ein Repräsentant der dritten Gewalt in die Niederungen des politischen Kampfes begibt. Keine juristischen Antworten parat hält – wenn sie verlangt sind –, statt dessen sich selbst anbietet. Und sich dann zur Partei machen läßt. So etwas würde andernorts zur sofortigen Suspendierung führen. Nicht so in Moskau. Eine der erstaunlichsten Erfahrungen des wütenden Machtgezerres ist die Unempfindlichkeit der politischen Kaste gegenüber dem Recht. Man handhabt es wie Geschäftsordnungstricks. Recht geht vor Macht, um die Macht vor dem Recht aufrechtzuerhalten.

Sorkins Tage in der Justiz sind gezählt. Ein neues Parlament wird ihn nicht wieder in die Verantwortung nehmen, die er ohnehin nie wollte. Daher muß er politisches Kapital aus seiner Richterrolle schlagen, um anschließend zu überwintern. Sein Vorschlag zum Kompromiß gestern folgt keinem anderen Motiv. Natürlich dient er vordergründig der Interessenschlichtung und konnte die tumben Abgeordneten kraft seiner „Autorität“ zur Mäßigung bewegen. Sorkin bleibt ein Jurist des Totalitarismus. Er dienert und wendet das Recht wie eine Deichsel. Der Retter hat dem Land großen Schaden erwiesen. Er hat bestätigt, was das Volk schon immer wußte: Das Recht gehört der Macht. Deshalb will es davon erst gar nichts wissen. Damit hat er die junge Institution des Verfassungsgerichtes nachhaltig diskreditiert. Der Held besaß nicht einmal die Courage, mit seinem letzten Verbündeten Chasbulatow gemeinsam unterzugehen. Ist man in Rußland gegenüber dem Recht noch unempfindlich, wird letzteres auf jeden Fall registriert. Feiglinge genießen kein Ansehen. Klaus-Helge Donath, Moskau

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