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■ Bürgerrechtler im Ghetto der verfahrenen Stasi-DebatteDas Kohlhaas-Syndrom

Um die politische Zukunft Manfred Stolpes braucht man sich vorerst keine Gedanken mehr zu machen – eher schon um die seiner schärfsten Kritiker. Die Insistenz, mit der die Auseinandersetzung um Stolpe zur Schlüsselfrage der Aufarbeitung erklärt wurde, rächt sich jetzt an denen, die sie am entschiedensten vorantrieben. So bedeutet Stolpes längst ausgemachter Erfolg nicht mehr nur die nachhaltige Zäsur in der Auseinandersetzung um die SED-Vergangenheit; vielmehr droht die aussichtslos gewordene Rücktrittsdebatte mit einem weiteren Einflußverlust der Bürgerbewegung zu enden. Die Unerbittlichkeit der Konfrontation, so scheint es, bestimmt das Ausmaß der Niederlage.

Dabei war der Ausgang im Fall Stolpe nie eine bloße Machtfrage. Der Verweis auf das Ost-West- Bündnis, das die Schlüsselfigur deutsch-deutscher Entspannungspolitik im Amt hält, paßt zu gut ins oppositionelle Selbstverständnis, um ganz wahr zu sein. Mindestens ebenso deutlich – und von den Gegnern Stolpes weniger gern thematisiert – beruht sein Erfolg auf dem breiten Konsens einer Gesellschaft, der die Beschäftigung mit der Vergangenheit inzwischen ähnlich fern liegt wie seinerzeit die Kritik am Regime. Es ist dieses Unbehagen an der Aufarbeitung, das Stolpe unangreifbar macht und seine Gegner zu marginalisieren droht.

Der Ausschuß als Dämon

Die jedoch werden nicht einfach an den Rand gedrängt, weil sie an ihrer Minderheitenposition festhalten; eher schon ist es der Versuch, den gesellschaftlichen Unwillen durch schriller werdende Töne zu konterkarieren, mit dem die Stolpe-Gegner zusehends an Einfluß verlieren. So weckt die jüngste Kritik an der Arbeit des Potsdamer Untersuchungsauschusses eher zwiespältige Gefühle. Zu vernichtend sind die Vorwürfe, als daß sie sich allein aus der unzureichenden Arbeit eines Gremiums erklären ließen, in dem immerhin Bürgerrechtler wie Günter Noocke mitarbeiten und in dem neben Stasi-Major Wiegand auch entschiedene Stolpe-Gegner wie Rainer Eppelmann zu Wort kamen. Qua Mehrheitsregel wird das am Untersuchungsbericht in der Tat wenig ändern. Dennoch ist die Kritik, die das Gremium als Inszenierung der Stolpe-Verteidiger, neuerdings sogar als Fortsetzung repressiver SED-Praktiken brandmarkt, nicht wirklich überzeugend. Sie unterschlägt, daß sich der Ausschuß als Sachwalter einer Gesellschaft fühlen darf, die die von den Bürgerrechtlern geforderte Konsequenz gerade nicht ziehen will. Das rechtfertigt zwar nicht die parteiliche Untersuchung, verweist aber auf den entscheidenden Schwachpunkt der Kritik: sie reflektiert nicht, daß ihre im Kern richtigen Argumente nicht mehr gehört werden; fast wirkt die überzogene Ausschußschelte schon wie ein Reflex ihrer gesellschaftlichen Isolation. Beschwörungsformeln und moralischer Gestus füllen das Defizit an Überzeugungskraft. Die Kritik schlägt in Verbitterung um.

Es scheint, als habe die Resonanzlosigkeit einen fatalen Kreislauf der Radikalisierung in Gang gesetzt. Die Tonlage der Kritik beginnt sich derjenigen der Opferverbände anzugleichen, die – gerade weil sie niemals Recht bekamen – ihre brutalen biographischen Erfahrungen leicht in einen rechthaberischen Anspruch übersetzen. Die jüngsten Aktionen der Stolpe- Gegner jedenfalls zeugen von beginnender Maßlosigkeit. Indiz hierfür ist der Griff zu den falschen Symbolen. Die weißen Rosen am Gitter des Potsdamer Stasi-Gefängnisses können nichts mehr verdeutlichen, außer, daß die Proportionen abhanden kommen. Geschlagen wird da ein unklarer Bogen vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus über das SED-Regime bis hin zur Kritik an Stolpe und seinem Ausschuß. In einem Atemzug redet Reinhard Schult auf der Potsdamer Protestveranstaltung von den Opfern des „Dritten Reiches“ und dem aktuellen „Wiedererstarken der alten Strukturen“. Wo lebt der Mann?

Es sind nicht nur diese falschen Töne, mit denen die radikaleren Bürgerrechtler sich ins Abseits manövrieren. Generell hat sich im Verlauf der Stolpe-Auseinandersetzung die bürgerrechtliche Perspektive auf die DDR-Geschichte verengt. Es scheint, als glichen sich gerade darin die Antipoden wechselseitig an. Wenn die einen heute jeden Akt niederen Opportunismus' als dialektisch verpuppten Ausdruck widerständischer Gesinnung ausgeben, so gilt den anderen leicht die fundamentaloppositionelle Haltung gegen das Regime als einzig legitim. Es gibt auch den Siegerblick der ausgebooteten Revolutionäre. Zwar ist in der Tat kaum anzunehmen, daß die Strategie der Entspannungspolitiker am Ende den Durchbruch gegen das Regime gebracht hätte; aber mit dem Verweis auf die Aktenlage läßt sich die Frage schwerlich abtun, ob nicht auch die heute denunzierten Lavierer Voraussetzungen schufen, mit deren Hilfe erst der Aufbruch unblutig-erfolgreich verlaufen konnte.

Zwischen diesen Polen müßte die Debatte geführt werden. Die jedoch hat sich unter dem Bann der IM-Frage soweit verengt, daß sie einer Gesprächsverweigerung gleichkommt. „Wir lassen uns unsere Erinnerung nicht korrigieren“, proklamiert Freya Klier. Es ist diese Akten-bewehrte „Erinnerung“ der Ankläger – nicht nur die Schönfärberei der Kompromittierten –, die die Interpretationsspielräume und damit eine wirklich offene Debatte über die DDR-Geschichte abschließt.

Isoliert wie zu DDR-Zeiten

Die Bürgerbewegung ist dabei, über die polarisierte Stasi-Debatte ihren Nimbus zu verspielen. Daß der Prozeß der gesellschaftlichen Aufarbeitung vorerst abgebrochen wird, ist ebenso enttäuschend wie die Tatsache, daß die Revolutionäre von einst kaum den politischen Einfluß erhalten haben, der ihrer Zivilcourage und ihrem historischen Erfolg entspräche. Aber die radikalen Bürgerrechtler selbst sind es, die mit jakobinischem Gestus den Prozeß der Enttäuschung vollenden. Die neue Unerbittlichkeit jedenfalls wirkt wie eine Rückkehr in die Vergangenheit. Auch zu DDR-Zeiten war die Opposition isoliert. Doch während sie damals noch von der „Brücke in die Gesellschaft“ träumte, die dann mit dem Massenexodus und dem Zerbersten des Regimes für einen kurzen Moment geschlagen wurde, begibt sie sich heute selbstgenügsam in die Enge. Dabei muß das moralische Podest und der vermeintlich direkte Zugriff auf die historische Wahrheit den mangelnden gesellschaftlichen Rückhalt ersetzen. Das aber schreckt diejenigen, die es zu überzeugen gelte.

Während des Herbstes und noch am Runden Tisch galt die Dialogfähigkeit als ihr ureigenster Ausweis. Sie waren es, die zuerst die Sprache der aufwachenden BürgerInnen beherrschten, bevor unter der Dominanz des Westens der Wiederabstieg in die Opposition begann. Doch die damals geweckten Erwartungen haben sich nicht erfüllt, die gesellschaftliche Desorientierung ist überall greifbar, die Parteien erodieren, ihre gesamtdeutschen Akteure machen eine deprimierende Figur. Aber gerade deshalb kann die Republik auf Bärbel Bohley, Freya Klier oder Wolfgang Templin nicht verzichten. Die Bürgerrechtler müssen raus aus dem Ghetto der festgefahrenen Stasi-Debatte. Ansonsten werden sie – auf andere Weise als sie derzeit glauben – Opfer der unbewältigten Vergangenheit. Matthias Geis

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